Erstes Kinderheim mit Freiheitsentzug

KRIMINALITÄT Bis zu drei Monate will man straffällig gewordene Kinder in der Einrichtung unterbringen

Jugendsenatorin Sandra Scheeres (SPD) hat am Freitag ein geschlossenes Heim für Kinder zwischen 10 und 14 Jahren eröffnet. Für bis zu drei Monate sollen dort nun vor allem straffällig gewordene Kinder untergebracht werden. Die Einrichtung in Tegel bietet Platz für sieben Personen und soll besonders solche aufnehmen, die in organisierten kriminellen Strukturen stecken – die also etwa als Drogenkuriere oder für Diebstähle benutzt werden. Vor zwei Jahren hatte der rot-rote Senat mit seiner umstrittenen Entscheidung für das geschlossene Heim darauf reagiert, dass sogenannte Kinderdealer Drogen verkauften.

Georg Siebert, der Vorsitzende der Stiftung zur Förderung sozialer Dienste, beschreibt das Konzept des Heims als „Intensivpädagogik“. Die Stiftung betreibt es zusammen mit dem Evangelischen Jugend- und Fürsorgewerk. 13 Betreuer, die fünf Sprachen sprechen, werden dort eingesetzt; 320 Euro kostet die Unterbringung eines Kindes pro Tag. Das Heim sei eine Kriseneinrichtung, die die Situation von denjenigen Kindern klären soll, die von üblichen Jugendhilfeeinrichtungen „nicht gehalten werden können“.

Trampolin im Garten

360.000 Euro hat der Senat in die Renovierung des Hauses gesteckt. Zuvor war das Gebäude als Unterkunft für straffällig gewordene Jugendliche genutzt worden, sagt der Leiter des Landesjugendamtes, Sven Nachmann. Jetzt steht im Garten ein blaues Trampolin neben der alten, kaugummiverschmierten Tischtennisplatte aus Beton.

Im Haus sind Blumenmotive an die Wände gemalt. Im Keller liegen bunte Gymnastikbälle und im Gemeinschaftsraum steht ein breites Sofa vor dem Flachbildfernseher. Die Schlafzimmer sind schmal, ihre Fenster kann man nicht öffnen.

Die Einrichtung soll Kinder vor allem vor kriminellen Banden schützen und sie nicht einsperren, sagt Nachmann vom Jugendamt. Auch der hohe Zaun, der um das Gelände errichtet wurde, sei allein zur Abwehr der erwachsenen Kriminellen vorgesehen: „Wer hier wegrennen will und gut klettern kann, kommt natürlich raus“, sagt er. Ziel sei es, dass die Betreuer eine Beziehung zu den Kindern aufbauen und ihnen helfen, den Organisationen zu entfliehen.

Der Senat habe auch die Abläufe im zuständigen Familiengericht neu geregelt, sagt Scheeres: Richter, die Freiheitsentzug anordnen, seien nun auch an den Wochenenden erreichbar. Rund 50 dieser Anträge auf Freiheitsentzug seien 2011 eingegangen, sagt Nachmann. Doch bisher sei die einzige Möglichkeit, Kinder unter 14 geschlossen unterzubringen, die Psychiatrie gewesen. Senatorin Scheeres sagt, man habe alle betroffenen Kinder zuvor in ein Intensivheim in Brandenburg eingewiesen – „in die Psychiatrie nur, wenn das Kind auch psychisch krank ist“.

Der stellvertretende Leiter des Berliner Kindernotdienstes, Uwe Bock Leskien, sieht das anders. „Wenn es in den Notdiensten zu Situationen kam, in denen Kinder nicht zu halten waren blieb uns nichts anderes übrig als die Kinder- und Jugendpsychiatrie“, sagt er. „Wir wollen mit dem Heim Fehlplatzierungen vermeiden“, betont Nachmann. Allerdings seien diese Kinder „das Kapital der Schlepper“. Wenn sie in Berlin künftig abgefangen würden, wanderten die Banden bald ab – in eine andere europäische Stadt. KRISTIANA LUDWIG