Eingewandert ins Museum

BILDUNG Das Jugendmuseum erweitert seine Ausstellung über Migrationsgeschichte: Sechstklässler interviewen dafür Menschen, die aus Israel nach Berlin gekommen sind

„Die Kinder haben gleich den Krieg thematisiert“

SABINE OSTERMANN, MITARBEITERIN

VON MARLENE GOETZ

20 Schüler sitzen im Kreis und schauen gespannt auf den jungen Mann mit dunklen Haaren und Brille. Eine Betreuerin schaltet die Kamera ein. Jeder darf nun die Fragen stellen, die er sich ausgedacht hat. „Fährst du manchmal noch nach Israel?“, fragt ein junges Mädchen. „Klar!“, antwortet Guy, der Interviewpartner. „Ein Teil meiner Familie lebt schließlich dort, zum Beispiel meine Schwester. Und Israel ist immer noch meine Heimat, obwohl Berlin meine zweite Heimat geworden ist“, erklärt Guy den Sechstklässlern der Charlie-Chaplin-Grundschule in Reinickendorf.

Er ist einer der israelischen Zuwanderer, die von Schülern im Rahmen des Workshops „Israelis in Berlin“ im Schöneberger Jugendmuseum interviewt werden. Anhand ihrer Antworten sollen Porträts entstehen. Vier andere Israelis wurden von der Klasse schon interviewt und porträtiert, darunter auch arabische Israelis. „Wir wollen die Vielfalt in der israelische Gesellschaft zeigen,“ sagt Sabine Ostermann, Theaterpädagogin und Mitarbeiterin des Projekts.

Das Jugendmuseum, das vom Bezirk Tempelhof-Schöneberg getragen wird, beschäftigt sich seit 2002 im Rahmen der Ausstellung „Villa Global“ mit dem Thema Einwanderung. Es hat zuvor schon andere Migrationsgruppen erforscht, darunter böhmische Glaubensflüchtlinge und türkische „Gastarbeiter“. Nun wird die Ausstellung, die in vielen kleinen Räumen durch Gegenstände und Einrichtungen das Leben der Berliner Zuwanderer darstellt, aufgefrischt. Der neue Raum „Israelis in Berlin“, der im Mai 2013 eröffnet wird, soll die Ergebnisse der Schüler-Workshops – für die sich die Klassen frei angemeldet haben – präsentieren. Über das Internet und private Kontakte wurden die Interviewpartner gefunden.

Manche Schüler zappeln nervös an diesem Mittwochvormittag, andere sind hoch konzentriert. Jeder hat sich auf einem grünen Kärtchen Fragen notiert. Das Heimatgefühl des 2006 zugewanderten Guy interessiert sie besonders: „Wo fühlst du dich zu Hause?“, fragt ein Junge. „Na ja, wenn ich in Israel bin, dann habe ich Sehnsucht nach Berlin. Wenn ich hier bin, dann vermisse ich Israel“, antwortet der 35-Jährige. Er macht entspannt mit, antwortet stets offen, auch wenn es um seine Ehe mit einem anderen Mann geht.

Dann fragt eine Schülerin, ob Guy sich in Berlin sicher fühle. „Ja“, antwortet er, „aber es gibt manchmal Situationen, wo ich mich unsicher gefühlt habe.“ Er erzählt eine Anekdote: Er war nachts in der U-Bahn, der Zug ziemlich leer. Plötzlich sei ein Mann eingestiegen, der viele Tätowierungen hatte, darunter ein deutlich erkennbares Hakenkreuz. Guy erzählt den Kindern, dass er sich sehr bedrückt gefühlt und gehofft habe, dass er nicht allein mit dem Neonazi bleiben würde. Am Ende ist nichts passiert, der junge Israeli kam mit dem Schrecken davon.

Die Schüler zeigen Neugier, nicht nur für Alltagsthemen wie Lieblingsessen und Hobby. Auch Guys Meinung zum Nahostkonflikt interessiert sie. „Hast du Angst vor dem Krieg?“, will ein Junge mit Zahnspange wissen. „Ja. Aber da ich in Israel aufgewachsen bin, bin ich es auch gewohnt.“ Als der Workshop vor zwei Woche anfing, eskalierten die Auseinandersetzungen zwischen Israel und der Hamas im Gazastreifen. „Die Kinder haben gleich am ersten Tag den Krieg thematisiert“, erzählt Sabine Ostermann. „Es hat sie auch interessiert zu forschen, wer diesen Krieg macht.“ Aktuelle Themen werden in den Workshops frei besprochen, das Leben der Israelis in Berlin steht jedoch im Mittelpunkt. „Es geht auch darum, was die Kinder wissen wollen. So können wir den geplanten Ausstellungsraum später besser gestalten“, erklärt die Pädagogin.

Als es keine Fragen mehr gibt, teilt sich die Klasse in drei Gruppen auf, um Guys Antworten in Ruhe zu besprechen. „Was habt ihr gut gefunden?“, fragt Christoph Kühn vom pädagogischen Team. Eine Schülerin mit Brille hebt die Hand: „Ich fand interessant, was er über seinen Bruder erzählt hat, dass er im Militärdienst getötet wurde, weil ein anderer mit seiner Waffe gespielt hat“, sagt sie. „Das ist auch sehr traurig“, bemerkt Kühn. Alle nicken zustimmend. Ein Mädchen fand es gut, „dass er so offen war“, ein anderer Schüler, dass er in Palästina war und dort auch Freunde hat.

Die Schüler der Chaplin-Grundschule werden nach ihren Interviewübungen auch als Kuratoren-Lehrlinge beansprucht. Sie dürfen einen Entwurf für den geplanten Raum „Israelis in Berlin“ vorstellen.