Wohlgefühl geht in Rauch auf

BÖLLER IN HELLERSDORF

Es ist die Zeit, in der die Zeit verschwimmt. In der einem bei permanentem Sonntagsgefühl die Wochentage verloren gehen und in der sich die deutsche Politik im Wesentlichen darauf beschränkt, zwischen syrischen, weißrussischen und griechischen Anschlägen nur einmal in Erscheinung zu treten: in der unpolitischen Neujahrsansprache der Bundeskanzlerin. Und dann und wann ein Jahresrückblick.

Schon die schöne deutsche Bezeichnung „Zwischen den Jahren“ zeigt: Die Normalität scheint außer Kraft gesetzt, die Ordnung aufgehoben, die Realität irgendwie eine surrealere Version ihrer selbst. Kurz: Dieser Feiertagsdauerzustand am Jahresende hat alle Zutaten, die ein dionysisches Außer-sich-Sein so braucht, alkoholumwabert, tanztrunken, vergnügungsbeseelt. Erschöpft von den ewigen Koalitionsverhandlungen und den zermürbenden Flüchtlingsdebatten in der Stadt hat man sich zurückgezogen in ein politikfernes Lalala.

Denkt man.

Bis die Nachrichtenagenturen dann noch einen Anschlag melden. Nicht aus dem Ausland diesmal. Sondern vom Flüchtlingsheim in Hellersdorf. „Gegen 1.20 Uhr“, steht da, wurden „zwei Unbekannte dabei beobachtet, wie sie an der Eingangstür Pyrotechnik mit Klebeband befestigten und anschließend zündeten. Dabei splitterte das Glas an zwei Eingangstüren der Unterkunft für Asylbewerber.“ Einen Tag später entdeckt man dort noch so eine kaputte Tür, der Staatsschutz ermittelt. So etwas wie die fremdenfeindliche Stimmung, die in Hellersdorf präsent war, seit die Flüchtlinge dort im Herbst eingezogen waren, hat eben keinen Feiertagsurlaub.

Tja. Die Illusion von der Möglichkeit eines unpolitischen Moments, einmal im Jahr, ist uns in der Neujahrsnacht hübsch um die Ohren geflogen. Pöff.

ANNE HAEMING