Der Hetzerei müde

HELLERSDORF Eine Bürgerinitiative verteilt Flugblätter gegen das Asylbewerberheim. Der Bezirk mag darauf nicht reagieren – und stellt lieber sein Programm gegen rechts vor

„Wir sind als Demokraten in eine Defensive geraten“

CHRISTIAN RONNEBURG, LINKE

VON MARINA MAI

Die selbsternannte Bürgerinitiative Hellersdorf hetzt in einem tausendfach verteilten Flugblatt gegen das dortige Asylbewerberheim. „Euer Kind fragt Euch in zehn Jahren, Mama und Papa, warum habt Ihr nichts getan?!“, steht dort. Als „Argumente“ gegen das Heim in der Carola-Neher-Straße werden eine angeblich steigende Kriminalität angeführt, Sozialleistungen für die dort lebenden Asylsuchenden in einer Fantasiehöhe von 10 Millionen Euro sowie „erhöhte Ansteckungsgefahr durch bei uns ausgestorbene Krankheiten“. Wer sich dagegen aktiv betätigen möchte, soll auf einen anonymen Anrufbeantworter sprechen oder eine Mail an die ebenfalls anonym agierende rechte „Bürgerbewegung“ Hellersdorf schreiben.

Petition der NPD

Für eine mögliche Verbindung zur rechtsextremen NPD spräche, dass die seit Wochen auf ihrer Website eine Petition zur sofortigen Schließung ebendieses Asylbewerberheimes ankündigt und nach eigenem Bekunden bereits dabei ist, Unterstützungsunterschriften zu sammeln. Auch die anonyme Bürgerbewegung wirbt auf ihrer Facebookseite für solche Unterschriften.

Der Bezirk Marzahn-Hellersdorf will auf diese Hetze nicht reagieren. „Wir müssen nicht über jeden Stein springen, den die Rechten uns in den Weg legen“, begründete Bürgermeister Stefan Komoß (SPD) das gestern vor der Presse. Das bringe den Rechten unnötige Aufmerksamkeit und stigmatisiere den Bezirk.

„Statt auf jede Attacke der Rechten zu reagieren, konzentrieren wir unsere Kräfte, um zu agieren“, sagte Komoß. Er stellte der Presse gestern Vormittag ein ambitioniertes Konzept des Bezirks zur Demokratieentwicklung vor, das zusammen mit der ebenfalls in Hellersdorf beheimateten Alice-Salomon-Fachhochschule erarbeitet wurde. Marzahn-Hellersdorf ist der einzige Berliner Bezirk mit einem solchen ganzheitlichen Konzept –und bekommt dafür berlinweit viel Lob. Gemeinsam mit Sportvereinen, der lokalen Wirtschaft und Schulen will man Demokratieprozesse initiieren. Gedacht ist beispielsweise an Diskussionen in Sportvereinen um Fairplay, gegen Mobbing und Rassismus im Verein. „Damit erreichen wir auch politikferne Teile der Bevölkerung“, so Komoß.

Solche gäbe es viele im Kiez rund um das Asylbewerberheim, was man an der massiven Wahlenthaltung dort in den letzten Jahren ablesen könne. „Es ist für uns eine Herausforderung, mit einer Zielgruppe zu kommunizieren, die versucht, sich von der NPD abzugrenzen, ohne dann aber gleich für das Flüchtlingsheim zu sein“, sagte Komoß.

Linke: „Nicht ignorieren“

Warum der Bezirk dann aber das Flugblatt nicht zum Anlass nimmt, gerade gegenüber diesen Menschen aktiv zu argumentieren, blieb unklar. Linke und Piraten im Bezirk sehen das übrigens anders. „Richtig ist, dass wir agieren sollten, statt zu reagieren“, sagt Steffen Osther von den Piraten. „Das darf aber nicht dazu führen, dass wir überhaupt nicht reagieren.“ Der linke Bezirksverordnete Christian Ronneburg wird deutlicher: „Gegenüber der selbst ernannten Bürgerbewegung sind wir als Demokraten in eine Defensive geraten. Die Unterschriftensammlung mit ihrer menschenverachtenden Hetze dürfen wir nicht ignorieren.“ Ein Patentrezept habe er aber nicht.