Regisseur Wang Xiaoshuai: "Es gibt Krach wie überall"

Familienprobleme in Chinas Mittelschicht: In Wang Xiaoshuai Film "In Love We Trust" erkrankt ein Kind an Leukämie. Zur Knochenmarkspende fehlen die Geschwister

Verstädterter Dörfler: Wang Xiaoshuai bei der Berlinale. Bild: reuters

taz: Herr Wang, Ihr Film "In Love We Trust" beginnt mit einer langen Taxifahrt durch einen tristen Pekinger Wohnblock, einen wahren Irrgarten. Man hört aus dem Off immer wieder Anweisungen an den Fahrer, nach links oder rechts abzubiegen, und wundert sich, dass da überhaupt noch jemand den Weg weiß.

Wang Xiaoshuai: Auf Chinesisch heißt mein Film "Zou You", also "Links, rechts". Im Chinesischen hat diese Wortkombination viele Bedeutungen. Es kann zum Beispiel heißen, dass ich zwischen den Stühlen sitze, nicht weiß, wo ich hin will. Es gibt aber noch eine andere Bedeutung, nämlich dass man etwas unter Kontrolle hält. Dass man versucht, eine Balance zu schaffen.

Die Architektur Pekings wird in Ihrem Film sehr modern, grau und gesichtslos gezeigt. Könnte Ihr Film überall auf der Welt spielen?

Das könnte er in der Tat. Ich freue mich, dass Sie das so sehen.

Gleichzeitig kommen auch sehr chinesische Themen vor. Die kleine Tochter hat Leukämie und könnte nur gerettet werden, wenn sie einen Bruder oder eine Schwester hätte, der oder die Knochenmark spenden könnte. Das ist aber nicht der Fall. In China gibt es fast nur Einzelkinder.

Das ist richtig. Das musste ich natürlich reflektieren. Aber ich wollte dadurch keine Kritik üben. Ich denke, die Einkindpolitik ist wegen des Bevölkerungsbooms in China unvermeidlich.

Die Eltern der Tochter, das heißt die Mutter mit dem neuen Ehemann und der Vater mit der neuen Ehefrau, sind mit einem schwierigen Problem konfrontiert. Sie können das Mädchen nur retten, indem sich die ehemaligen Ehepartner noch einmal zusammentun und ein Kind zeugen, das als Spender infrage kommt. Das gefährdet natürlich die neuen Ehen. Und dennoch kommt es erstaunlicherweise kaum zur offenen Konfrontation. Alle bleiben ziemlich ruhig und vernünftig.

Es gibt in China viele Arten, Familienprobleme zu lösen. Da kommt es genauso oft zu Krach und Gewalt wie überall sonst. Ich denke, dass chinesische Familien aus anderen gesellschaftlichen Schichten, zum Beispiel sehr reiche oder sehr arme Leute, ganz anders mit so einem Problem umgehen würden.

Sie zeigen aber die neue Mittelschicht Chinas, unspektakuläre Leute wie Makler, Ingenieure und Designer. Sind diese Menschen für Sie Hoffnungsträger?

Diese White Collars wissen heute immer genauer, wer sie sind und wie sie sich in der Gesellschaft positionieren wollen. Sie sind bereit, zusätzlich zu den chinesischen Traditionen auch andere Dinge zu akzeptieren. Ich hoffe sehr, dass die Kombination aus konfuzianischer Höflichkeit und neuen Werten eine modernere chinesische Gesellschaft hervorbringen wird. Ich halte das für ein gutes Konzept.

Dieses Konzept scheint besonders die Mutter in ihrem Film zu haben, Mei Zhu. Sie entscheidet sofort, was zu tun ist, und wirkt dabei sehr stark.

Männer sind auch in China in ihrem beruflichen Leben oft viel größerem Druck ausgesetzt, das heißt, sie sind viel öfter gezwungen, sich zu fügen. Sie sind nicht direkt schwächer, aber sie rücken oft, je älter sie werden, immer weiter von ihren Zielen ab.

Sind Frauen in China emanzipierter als in anderen Ländern?

Das ist ganz unterschiedlich. In anderen Teilen Chinas sind sie viel weniger emanzipiert. Ich wollte in meinem Film keine besonders starken Menschen zeigen. Ich wollte durchschnittliche Leute zeigen, die diese Stärke nur entwickeln müssen, weil sie so in die Ecke gedrängt werden.

Lao Xie, der neue Ehemann der Mutter, kommt ursprünglich vom Land, scheint aber recht großmütig zu sein.

Männer wie diese gibt es sehr viele in den großen Städten Chinas. Sie sind verstädterte Dörfler. Ich selbst bin auch so einer. Viele dieser Männer haben immer noch das Gefühl, dass sie nicht so gut sind wie die Städter. Sie haben Komplexe. Das kommt ja auch am Ende des Films heraus.

Lao Xie scheint am Ende aber zu akzeptieren, dass seine Frau ein Kind von ihrem Exmann bekommen wird - und dass er selbst damit wahrscheinlich kinderlos bleiben wird.

Ja, er scheint sehr tolerant zu sein. Trotzdem bittet er seine Frau, das Ganze wenigstens geheim zu halten und das Kind vor seiner Familie auf dem Land als sein eigenes ausgeben.

Immerhin will er seine Ehefrau nicht verlassen.

Er löst aber ein ganzes Bündel neuer Probleme aus. Ich wollte das Ende dieses Films so gestalten wie bei manchen kommerziellen amerikanischen Filmen: Das außerirdische Monster ist endlich besiegt, aber die letzte Einstellung zeigt tausend Eier, die es vor seinem Tod noch legen konnte.

Bei Ihren ersten Filmen 1993 und 1995 hatten Sie, wie alle chinesischen Filmemacher der sechsten Generation, noch große Probleme mit der Zensur, Ihre Filme durften nicht gezeigt werden. Ist das noch ein Thema für Sie?

Ich habe seit einigen Jahren keine allzu großen Probleme mehr. Aber ich habe auch Glück gehabt. Im zweiten Teil meiner Karriere wurden mir mehr Freiheiten zugestanden als anderen. Ich denke, das Problem ist noch lange nicht aus der Welt.

Was würden Sie als Erstes tun, wenn Sie für Ihren Film einen Bären bekämen?

Ich würde mich freuen und mit meinem Team Bier trinken gehen. Und ich hätte das Gefühl, dass ich mit dem Preis einen Teil der ideellen Schulden abgleichen könnte, die ich bei meinen Freunden und bei meiner Familie habe.

INTERVIEW: SUSANNE MESSMER

"In Love We Trust". Regie: Wang Xiaoshuai. Mit Liu Weiwei, Zhang Jiayu, Yu Nan. Volksrepublik China 2007, 115 min.; 13.2., 15 Uhr, Cinemaxx; 17.2., 19 Uhr, Berlinale Palast

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