Kolumne 16 mm diederichsen: Die Ratlosigkeit des Kameragewackels

Schuss, Gegenschuss, Close-Up und Halbtotale. Wie wählt ein Regisseur eigentlich seine filmischen Mittel?

Wie wählt ein Regisseur eigentlich seine filmischen Mittel? Die wenigen, die sich noch als Auteur und Künstler selbst verstehen, denken in Kategorien wie Treue zu sich selbst und filmischen Obsessionen. Halbnahe Einstellungen sind manchen zum Beispiel aus weltanschaulichen Gründen verboten. In den meisten Fällen und gerade bei neuen Regisseuren kann man stattdessen immer wieder sehen, wie im Vorhinein ein Urteil über den Stoff gefällt wurde, das alle weiteren Entscheidungen festlegt. Sie definieren ein Thema, und das führt dann entweder zu einer Konvention oder, was oft auch nicht besser ist, zu einer Idee von Angemessenheit.

Mein Problem mit "Tropa de Elite" von José Padilho war nicht, wie häufiger geäußert, dass das hektische Kameragefuchtel die Perspektive des Tötens oder das unrechtsstaatliche Handeln von Elitecops verherrlicht. Die Bildauffassung des Films zerstörte vielmehr gezielt jeden Gedanken über sein Sujet schon vor jeder Reflexion. Das ist ihre Idee von Realismus. So zu tun, als wäre kein Stativ zur Hand und bei Dialogen keine zweite Kamera für den Gegenschuss, obwohl man einen internationalen Spielfilm dreht, ist hier nicht nur alberner Doku-Authentizismus. Die Behauptung dieser Ästhetik lautet eher: Das ist alles so komplex und ausweglos, dass man als Beteiligter keinen klaren Gedanken fassen kann (die Kamera ordentlich fixieren). Als Beteiligter kann man das tatsächlich nicht, aber diesen Schuh muss sich die künstlerische Arbeit nicht anziehen. Sie nimmt ja sowieso Abstand und trifft Entscheidungen - also kann sie auch eine Position formulieren, die mehr ist als die ästhetisch hilflose Verdoppelung der realen Hilflosigkeit brasilianischer Behörden.

Ähnlich übersetzt der dänische Panorama-Beitrag "Det som ingen ved"/"What No One Knows" von Sören Kragh-Jacobsen die Lage seines Protagonisten in eine filmische Ästhetik. Der gute Mann ist auf eine Weltverschwörung gestoßen, die ausgerechnet von Dänemark und seinem faschistischen Geheim-Geheimdienst ausgeht, der alle Handys abhören kann und zu jeder beliebigen Sekunde jede Überwachungskamera in jedem Parkhaus, Bahnhof, Flughafen, Supermarkt und Waschsalon im Auge hat, damit er weiterhin Biowaffen an den Sudan liefern und mutige blonde Frauen ermorden kann. Auch hier stört aber weniger der, gelinde gesagt, an den Haaren herbeigezogene Plot, sondern die Veranschaulichung der Gottverlassenheit des allein gegen eine Übermacht kämpfenden "Thomas" durch sein ewig scharfes Angstgesicht, hinter dem sich eine fast immer unscharfe Welt der diffusen Bedrohungen aufbaut.

In Götz Spielmanns "Revanche" sieht man hingegen nichts, was nicht durchdacht mit dem Plan des Films zusammenhängt. Dennoch wird man auf den kleinen Forstweg nicht mit der Nase gestoßen, in dessen Tiefe man unwillkürlich fragend hineinschaut, nur um ihn später als Ruhepunkt in einer Verfolgung wiederzuerkennen. Die Bilder und andere Stilmittel sind in dem ruhigen, spannenden österreichischen Bordell- und Einöddorfthriller kein Programm, das durchläuft und einen einmal gefassten Gedanken über sein Thema illustriert. Sie sind das Thema. Sie zeigen, was geschieht. Das tun sie übrigens in jedem Film aus einer distanzierten, überlegten Perspektive, auch wenn die im Nachhinein sich als unüberlegt maskiert.

DIEDRICH DIEDERICHSEN

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