Opfer in Grau und Blau

ENTLASTUNGSFIKTION „Jud Süß – Film ohne Gewissen“ von Oskar Roehler (Wettbewerb)

Veit Harlans Film „Jud Süß“ zu sehen ist nicht einfach. Öffentliche Vorführungen sind nicht gestattet. Ich kenne den Film, weil ich während meines Studiums ein Seminar zum Thema „Literarischer Antisemitismus“ besuchte. Ohne dieses Seminar hätte ich Harlans Machwerk möglicherweise nie gesehen und wüsste nicht aus eigener Anschauung, wie perfide es ist – etwa in der Parallelmontage, in der die von Ferdinand Marian gespielte Hauptfigur die von Kristina Söderbaum gespielte deutsche Unschuld zum Sex zwingt, während im Kerker die Schergen von Jud Süß den Verlobten der deutschen Unschuld foltern. Es ist keine kluge Entscheidung, „Jud Süß“ unter Verschluss zu halten, während etwa Leni Riefenstahls „Tiefland“ ohne Probleme gezeigt werden kann. Und das nicht nur, weil alles, was verboten ist, leicht zum Faszinosum wird, sondern auch, weil es wichtig ist zu verstehen, mit welchen Mitteln „Jud Süß“ zum Hass auf Juden anstiftet. Und das geht eben nur, wenn man den Film sehen und diskutieren kann.

Der Regisseur Oskar Roehler ist nicht bekannt dafür, dass er zu nüchterner Analyse neigt. In seinem Wettbewerbsbeitrag „Jud Süß – Film ohne Gewissen“ interessiert er sich denn auch eher für das Faszinosum, statt uns irgendwelche neuen Erkenntnisse über Harlans Film zu vermitteln. Sonst würde er seinen Goebbels (Moritz Bleibtreu) nicht zu Anfang programmatisch verkünden lassen: „Das Böse ist so viel interessanter als das Gute.“ Roehler kokettiert mit diesem Bösen, kapriziert sich zugleich auf die Vita des Hauptdarstellers Ferdinand Marian, den hier Tobias Moretti gibt, und traut sich dabei selbst nicht recht über den Weg, da er keine Gelegenheit verstreichen lässt, uns die Gefahren von Harlans Propaganda überdeutlich vor Augen zu führen. So ist „Jud Süß – Film ohne Gewissen“ zunächst einmal eine sehr unentschiedene, in Grau- und Blautönen ertränkte Sache, in der Bleibtreu als Rampensau ganz andere Schauspielregister zieht als seine Kollegen. Sequenzen aus Harlans Film werden mit Tobias Moretti, Armin Rhode, Paula Kalenberg und Milan Peschel nachgestellt; gegen Ende wird dann aber die Szene aus Harlans Film direkt übernommen, in der die in den Selbstmord getriebene deutsche Unschuld zum Haus des Joseph Süß gebracht wird und der Mob Hassparolen skandiert.

Das Schwierigste daran ist, wie sehr sich Roehler auf Marian konzentriert. Dadurch verwandelt er die Geschichte des Hetzfilms in die einer tragischen Figur: Marian ist bei ihm kein Mitläufer, sondern ein Zerrissener; eine halbjüdische Ehefrau wird ihm zur Ehrenrettung angedichtet. „Jud Süß – Film ohne Gewissen“ ist eine der Entlastungsfiktionen, die uns im Kino den Umgang mit dem Nationalsozialismus versüßen. CRISTINA NORD

■ Heute 12 und 18 Uhr Friedrichstadtpalast und 22.30 Uhr Urania; 21. 2., 23 Uhr, Friedrichstadtpalast