So symbiotisch und frei sein wie sonst keiner

ROMANTIK Eine Feel-Good-Doku über das Paar hinter Throbbing Gristle: „The Ballad of Genesis and Lady Jaye“ (Forum)

Man stellt ihn sich anstrengend vor, einen Film über den Mann mit den irren Augen, der in den Siebzigern mit seiner Band Throbbing Gristle die Geschichte der Industrial Music lostrat, der sich auf der Bühne mit schwarzer Magie, Gewalt, Pädophilie und Tod befasste, sich Hühnerköpfe auf den Penis legte, masturbierte oder mit seiner Mitmusikerin qua Dildo analen und vaginalen Sex gleichzeitig hatte, der sich seit Jahren operativ in eine Frau verwandelt und selbst seine treusten Fans mit umfänglichen Silikonbrüsten und blinkenden Goldzähnen erschreckt.

Doch das Gegenteil ist der Fall. Die in New York lebende französische Filmemacherin und Kuratorin Marie Losier zeigt in ihrem Film „The Ballad of Genesis and Lady Jaye“ einen beschwingten, selbstironischen Künstler, der frei ist wie keiner. Dafür gibt es zwei Gründe: Zum einen hat sich Marie Losier vor allem für die Liebe zwischen Genesis P. Orridge und seiner Frau Jacqueline Breyer alias Lady Jaye interessiert – und so eine große romantische Geschichte entdeckt, die, so scheint es, die wahre Motivation für Genesis P. Orridge darstellte, pandrogyn und seiner Geliebten, wie es der Schmelz der Symbiose verlangt, immer ähnlicher zu werden. Diese beiden waren sich darin einig, nie mit sich selbst identisch sein zu wollen.

Zum anderen ist es die Machart dieses schillernden Feel-Good-Movies, der seine Zuschauer so fröhlich entlässt, wie seine Helden meist wirken. Marie Losier setzt sie nicht etwa auf einen Stuhl und lässt sie dort Dinge sagen, auch begleitet sie sie nicht in ihrem Alltag. Sie inszeniert Genesis P. Orridge und Lady Jaye. Sie steckt sie in schrille Kostüme und treibt sie zu Tableaux Vivants zusammen, sie lässt sie Erzähltes, Erfundenes und Erinnertes selbst nachstellen. So kommen Szenen zustande, die lang hängen bleiben werden: Genesis P. Orridge spielt die erste Begegnung mit seiner Frau nach, Genesis P. Orridge steht in sexy Unterwäsche am Kochherd, Genesis P. Orridge mäandert in seinem vollgestopften Archivkeller herum und flötet: „This house is full of useless information“.

Lady Jaye starb überraschend im Jahr 2007, als Marie Losier ihren Film noch nicht beendet hatte – übrigens der einzige Grund, warum die Konzeptkünstlerin und Musikerin seltener zu Wort kommt als ihr Gatte. Ein konventioneller Dokumentarfilm wäre hier womöglich gescheitert. Marie Losier, der es eher um die Kraft der Imagination und Selbstdarstellung geht als um vermeintlich objektive Wahrheiten, drehte erst recht weiter. SUSANNE MESSMER

■ Heute, 16.30 Uhr, Delphi; 17. 2., 16.30 Uhr, CineStar 8; 18. 2., 22.15 Uhr, Cubix 9; 20. 2., 12.30 Uhr, Arsenal