DIE BERLINALE IST AUCH EINE ZEITREISE. SPÄTESTENS BEI DER WIEDERBEGEGNUNG MIT REGISSEUREN, DEREN FILME EINEN VOR 25 JAHREN KOMPLETT UMGEHAUEN HABEN
: Warum Pen-Ek Ratanaruang als Fisch wiedergeboren werden wird

VON DETLEF KUHLBRODT

DRAUSSEN IM KINO

Es ist Mitternacht. Ich fahre mit dem Fahrrad durch den Regen. Eben hatte ich mir noch den thailändischen Thriller „Headshot“ von Pen-Ek Ratanaruang angeguckt. Der Film hatte mir gut gefallen, wie die meisten thailändischen Filme, die ich in den letzten zwanzig Jahren auf der Berlinale gesehen habe. In einer Actionszene geht ein Aquarium kaputt. Eine Frau fragt auf Thai, warum die Fische so leiden mussten, der Regisseur sei doch Buddhist. Pen-Ek Ratanaruang antwortet, dass alle in seinem Film leiden mussten; die Schauspieler mussten leiden, zwei seiner Produzenten seien gestorben, als Filmregisseur sei man notwendigerweise ein schlechter Mensch und egoistisch; die Fische hätten aber überlebt. Die menschlichen Teilnehmer des Films hätten aber Geld für ihr Leiden bekommen, erwidert die Zuschauerin und dass der Regisseur sicher als Fisch wiedergeboren werden würde.

Es sind solche und ähnliche Livemomente, die mich auf der Berlinale begeistern. Wenn Regisseure und Schauspieler für ihren Film einstehen, wenn Zuschauer Fragen stellen, auf die man selbst nicht gekommen wäre, wenn ein Gespräch einen Film einbettet, ergänzt und mit dem eigenen Leben verbindet.

Viele Auftritte waren toll, so der von Mani Haghighi, dem Regisseur des iranischen Forumsfilms „Modest Reception“, in dem ein städtisches Pärchen Bewohner einer ländlichen Ödnis durch Geldgeschenke sadistisch erniedrigt. Auf die Frage nach dem Dollar- oder Eurowert der iranischen Währung antwortet er, vor einem Jahr sei sie noch so und so viel wert gewesen, nun aber nur noch die Hälfte – „Thanks for the sanctions!“. Und er erklärt, die Verhandlungen mit der Zensurbehörde hätten seinen Film eigentlich verbessert. Anrührend war der Auftritt der 16-jährigen Anti-Atom-Aktivistin des Films „Friends after 3. 11.“ von Iwai Shunji im Delphi oder wie Peter Kern auf die professionellen Filmgucker schimpfte, die von Film zu Film hetzen, als gelte es Filmguckrekorde aufzustellen.

Ich dachte an Berlinalen, wo man eigentlich versucht hatte, sich so drogenmäßig mit Filmen wegzubeamen, und mit anderen darum konkurrierte, wer die meisten Filme guckt, wie ein Trinker, dem es egal ist, was er trinkt, Hauptsache, es knallt. Filmguckräusche sind anstrengend und schön. Manche Filme sind ja zunächst spröde und brauchen Zeit, um sich erst später im Kopf des Zuschauers zu entwickeln.

Ich fahre auf den Bürgersteig, weil der Dynamo im Regen nicht richtig funktioniert. In der Volksbühne, beim Forumsempfang, kommen mir Ly Bun Yim und die anderen Vertreter des Goldenen Zeitalters des kambodschanischen Kinos entgegen. Sie sind die Stars meiner diesjährigen Berlinale und gehen gerade. Ich bilde mir ein, dass mich Ly Bun Yim erkennt – ich hatte ihm nach seinem Film die Hand gegeben und mich bedankt, und später war ich mir nicht mehr ganz sicher, ob er das nicht irgendwie komisch gefunden hatte.

Wir trinken, rauchen vor der Tür, sprechen über Filme. Es gab keinen einzigen, der mir nicht gefallen hat, und ich habe das Gefühl, eine ganz wunderbare Berlinale erlebt zu haben. Später werde ich mir noch den Martial-Arts-Film „Flying Swords of Dragon Gate“ angucken. Ich hatte gejubelt, dass ich noch eine Karte für diesen Film von Tsui Hark bekam, meinen ersten 3-D-Film. Mit ihm schließt sich ein Kreis: Tsui Harks „Peking Opera Blues“, den ich vor 25 Jahren im Delphi gesehen hatte, war – auch aus anderen Gründen, aber die spielen ja immer mit – der erste Berlinalefilm, der mich komplett umgehauen, weggeflasht und tief beeindruckt hat.