„Die Weite wendet sich gegen einen“

GOLDRAUSCH Ein Gespräch mit dem Berliner Regisseur Thomas Arslan über Auswanderer-Strapazen bei der Suche nach einem neuen Leben, Dialoge auf dem Pferderücken und Erzählräume, die vier Generationen umspannen

Geb. 1962, wuchs in Essen und Ankara auf. Studium der Germanistik in München und der Filmregie an der dffb Berlin. 1994 entsteht sein Debüt „Mach die Musik leiser“, anschließend eine in Kreuzberg angesiedelte Trilogie („Geschwister – Kardesler“, 1996, „Dealer“, 1999, und „Der schöne Tag“, 2001), die klischeefrei den Alltag junger Deutschtürken einfängt. 2007 folgt „Ferien“, 2010 „Im Schatten“, der geglückte Versuch, Genrekino mit der narrativen Offenheit der Berliner Schule zu verbinden.

INTERVIEW CRISTINA NORD

taz: Herr Arslan, sehen Sie gerne Western?

Thomas Arslan: Ja, sehr gerne. Ich habe die Gelegenheit genossen, mir einige wieder anzuschauen. Dabei würde ich „Gold“ nicht als reinen Western bezeichnen, allein schon, weil er im Jahr 1898 spielt, also zu einer Zeit, in der die Grundthemen des Western sich erledigt haben. In meinem Film sind es ja deutsche Auswanderer, die durch ein für sie fremdes Terrain irren. Zu rein amerikanischen Erzählversatzstücken mit der entsprechenden Personnage hätte ich keinen Zugang gefunden, auch wenn mir die Filme gefallen.

Hatten Sie denn den Traum, irgendwann mal einen Film mit der klassischen Westerneinstellung zu beschließen? Ein Einzelner reitet in die Bildtiefe hinein?

Vielleicht unbewusst. Aber es war nicht meine erste Idee, einen Western zu drehen. Ich bin mehr oder weniger zufällig auf die Tagebücher und Briefe von Goldgräbern und Auswanderern gestoßen, außerdem auf Fotografien aus der Zeit des Klondike-Goldrauschs. Es hat sich dann ergeben, dass sich der Film zum Western hin öffnen lässt.

Warum erzählen Sie von deutschen Goldsuchern, nicht etwa von irischen?

Der erste Impuls lag in den Fotografien: Was für Strapazen die Leute auf sich genommen haben, um ein neues Leben zu beginnen! Das fand ich berührend, ganz unabhängig vom Aspekt der Auswanderung. Der kam durch die Recherche hinzu; die Deutschen waren ja lange Zeit die mit Abstand größte Einwanderungsgruppe in den USA. Es gab also viele Deutsche und Deutschstämmige, die auf der Suche nach Gold waren, das hat mir einen Zugang ermöglicht, ich konnte mir darunter etwas vorstellen, konnte Linien ziehen, vor und zurück, nach Deutschland. So hatte es, zumindest entfernt, etwas mit mir zu tun.

„Gold“ spielt vor über hundert Jahren. Nun reicht es ja nicht, die Darsteller in historische Kostüme zu stecken; damals sprach, dachte, fühlte man ja auch anders. War das eine Herausforderung für Sie?

Ja. Was die Details der Route, die Kostüme und die Ausstattung anbelangt, war es mir sehr wichtig, dass all dies nah dran ist an der damaligen Zeit. Bei anderen Sachen haben wir uns mehr Freiheit genommen. Denn es ist eher wenig produktiv, wenn man die Leute genauso sprechen lässt, wie sie damals gesprochen haben. Die Briefe der Goldsucher sind zum Teil schwer verständlich, das hätte nur unnötige Distanz aufgebaut.

Die von Nina Hoss gespielte Hauptfigur, Emily, ist ja eine sehr moderne Frau. Wie sind Sie zu dieser Figur gekommen?

Durch die Recherche. Aus den Briefen und Tagebüchern ging hervor, dass viele Frauen im Goldschürfen eine Chance sahen, aus den Verhältnissen, in denen sie lebten, auszubrechen. Das fand ich interessant. Alexander Kluge hat mal gesagt hat, dass ein Erzählraum vier Generationen umfasst. Da ist etwas dran: dass das Vergangene in die Gegenwart reinhallt, dass sich Kurzschlüsse herstellen lassen, Verbindungen, die auch über die Grenzen Deutschlands hinausreichen.

Wie war der Dreh in Kanada, die konkrete Arbeit, etwa mit den Pferden?

Es war für mich das erste Mal, dass ich mit Pferden gedreht habe, und das hat ein Element, das man nicht beherrschen kann. Aber für die Schauspieler war es sehr hilfreich, dass sie konkret etwas tun, mit den Pferden umgehen, ein Zelt auf- und abbauen müssen. Dadurch baut sich ein großer Erschöpfungszustand auf. Es ist körperlich enorm anstrengend, den ganzen Tag auf dem Pferd zu sitzen und Dialoge auf dem Pferderücken zu sprechen. Dieses physische Element ist sehr wichtig für die ganze Geschichte.

Hat sich zwischen Nina Hoss und dem Pferd – sie reitet ja immer dasselbe – eine Art Beziehung entwickelt?

Ja, das kann man so sagen. Sie waren ja keine erfahrenen Reiter. Bis auf Lars Rudolph hatten sie gar keine Erfahrung, auch Nina Hoss nicht. Sie nahmen in Berlin ein bisschen Reitunterricht, und vor Ort unterrichteten uns Wrangler der alten Schule, zwischen 60 und 70 Jahre alt, die führen noch eine klassische Cowboy-Existenz. Ihnen ist es in wenigen Tagen gelungen, zu vermitteln, wie man auf einem Pferd ruhig bleibt. Wie man keine Angst hat. Mit jedem Drehtag wurden die Schauspieler gewiefter im Umgang mit dem eigenen Pferd. Das ist ja auch Teil der Geschichte: Es sind ja keine Cowboys, sondern Städter, die in der Wildnis unterwegs sind.

Das gilt auch für Sie: Ihre bisherigen Spielfilme waren in der Stadt angesiedelt, außer „Ferien“, der sich aber auch mehr auf Garten und Haus konzentrierte als auf Landschaft. Wie haben Sie sich auf das Filmen der Landschaft vorbereitet?

In einer solchen Weite habe ich vorher noch nie gedreht. Wir – also Patrick Orth, der Kameramann, und ich – mussten uns gut überlegen, wie wir das filmen. In den Tagebüchern taucht immer wieder auf, dass man ab einem bestimmten Punkt das Gefühl hat, einfach nicht mehr vorwärts zu kommen. Ein Gefühl von Endlosigkeit. Die Weite, die am Anfang ein Versprechen ist, wendet sich gegen einen. Dafür mussten wir eine Form finden. Wir wollten nicht ständig mit Totalen arbeiten, sondern eine Balance finden: Das Bild sollte zwar aufreißen und die Ausdehnung der Landschaft zeigen, aber es sollte auch immer wieder Momente geben, wo die Personen in den Wäldern unterwegs sind und es klaustrophobisch wird.