Tränen fürs Taschentuch

PANORAMA „Lovelace“ erzählt die Geschichte des Pornostarlets anders, aber auch nicht besser

So wie es mindestes zwei Geschichten über Linda Lovelace gibt, die wegen ihrer Performance in dem berüchtigten Porno „Deep Throat“ in den 70er Jahren kurzzeitig im Rampenlicht stand, so gibt es auch zwei Körper der Linda Lovelace – beide, Geschichten und Körper, sind eng miteinander verknüpft: In seinem Film „Lovelace“ stellt Rob Epstein – der 2010 mit „Howl“, seinem Beatnik-Biopic über Allen Ginsberg, im Berlinale-Wettbewerb stand – beide spiegelbildlich gegenüber, entlang der Achse eines harten Schnitts, der seinen Film in zwei Teile teilt.

Die eine Geschichte erzählte schon der Dokumentarfilm „Inside Deep Throat“ (2005): Da war diese junge Frau, die die ganze Welt für einen Moment lang in ein Pornutopia verwandelte, indem sie Harry Reems’ großes Glied bis zum Anschlag in ihren Mund aufnahm. Eine Geschichte voll cooler Klamotten, Aufbruchstimmung, freier Liebe. Mittendrin: Linda Lovelace’ Körper als Spektakel, Avatar einer neuen Lust und Experimentierfreudigkeit. Die andere Geschichte deutete „Inside Deep Throat“ immerhin an, bagatellisierte sie aber.

Sie erzählt von Misshandlungen, Gewaltandrohungen, dem Mafiamob und einer vor der Kamera vergewaltigten Frau, die von dem immensen Reibach gerade mal ein lumpiges Tageshonorar abbekommt. Es ist die Geschichte, die die 2002 bei einem Autounfall tödlich verunglückte Linda Lovelace geborene Boreman selbst von sich erzählte, nachdem sie sich in den 70er Jahren der feministischen Bewegung angeschlossen hatte. Später, als sie wohl aus Geldnot nochmals für erotische Aufnahmen posierte, wurde ihr die Distanzierung von dem Film, der ihre Karriere begründet hatte,als Unredlichkeit ausgelegt.

In der ersten Hälfte seines Films bleibt Epstein mit knalligen Farben beim Porn Chic – mittendrin Amanda Seyfried als junge Linda, die mit ungläubigen Kulleraugen zusieht, wie ihr Mädchenkörper eine ganze Nation elektrisiert. In der zweiten macht er sich Lovelace’ Perspektive zu eigen. Im Grunde pornografisiert er dabei aber ihren Körper erneut, wenn auch mit den Mitteln des Melodrams: In den Registern des Begehrens löst der zu bemitleidende den aufreizenden Körper ab – aufs Taschentuch will Epstein nicht verzichten, zielt allerdings auf Tränen.

Die zentrale Frage des Films – Wer war Linda Lovelace? – bleibt in dieser Umdeutung der affizierenden Qualitäten ihres Körpers unbeantwortet. Auch hier bleibt ein Körper der Fetisch eines gewaltigen Filmdistributionsapparats. Und spätestens als die Erlösung im trauten familiären Heim am Ende steht – wäre sie doch nie in die Welt gezogen! –, fühlt sich dieser Film von Grund auf falsch an. THOMAS GROH

■ Heute, Friedrichstadt-Palast, 18 Uhr