Sexuelle Vielfalt – aber dalli!

BILDUNG Baden-Württembergs Regierung will das Thema sexuelle Vielfalt weiterhin ab nächstem Jahr im Lehrplan verankern. Nun warnen auch Befürworter vor zu großer Eile

Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) trifft sich am Donnerstag mit den bibeltreuen Christen, um über den Bildungskonflikt zu sprechen

AUS STUTTGART LENA MÜSSIGMANN

Mit Plakaten, Trillerpfeifen und der festen Überzeugung, im Recht zu sein, werden sie am 5. April zum dritten Mal durch Stuttgart ziehen – die Gegner und Befürworter des Themas „sexuelle Vielfalt“ im Unterricht.

Muss Akzeptanz sexueller Vielfalt gelehrt werden? Sollen Kinder auch außerhalb des Bio-Unterrichts lernen, dass es Familien mit zwei Vätern oder zwei Müttern gibt? Ja, sagt das SPD-geführte Kultusministerium und will den neuen Bildungsplan für Baden-Württembergs Schulen mit diesem Thema nach wie vor im Jahre 2015 in Kraft setzen. Trotz massiver Proteste.

Die Initiative „Besorgte Eltern“ befürchtet Eingriffe in ihre Erziehungshoheit und die „Frühsexualisierung“ ihrer Kinder. Anhänger der rechtspopulistischen Webseite PI-News und der Alternative für Deutschland waren zuletzt unter den Demonstranten. Der Protest speist sich aber auch aus evangelikalen Kreisen. Sie argumentieren mit christlichen Werten und erkennen hetero- und homosexuelle Partnerschaft nicht als gleichwertig an.

Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) trifft sich am Donnerstag mit Vertretern dieser strengen, bibeltreuen Glaubensrichtung, um über den Bildungskonflikt zu sprechen. Doch auch Kretschmann will den Bildungsplan nicht verschieben.

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, die den Bildungsplan unterstützt, hat einen Kompromiss vorgeschlagen und plädiert dafür, den neuen Bildungsplan erst für das Schuljahr 2016/2017 in Kraft treten zu lassen und das Thema sexuelle Vielfalt seltener zu erwähnen.

Politische Kritik am Bildungsplan äußert die Opposition in Baden-Württemberg. Aus Sicht des bildungspolitischen Sprechers der CDU, Georg Wacker, fährt Kultusminister Andreas Stoch (SPD) den Kurs „Augen zu und durch“. Damit sei er schlecht beraten: „Wir brauchen einen ausgewogenen Bildungsplan, der von allen Menschen im Land akzeptiert und mitgetragen wird“, sagt Wacker. Der Bildungsexperte der FDP, Timm Kern, findet, dass dem grün-roten Bildungsplan „der Geruch des Gesinnungslehrplans“ anhaftet.

Das Kultusministerium sieht in der Debatte den Beweis dafür, dass Baden-Württemberg in puncto Weltoffenheit noch Aufklärungsbedarf hat und fühlt sich bestätigt: „Das gibt unserem Anliegen Aufwind, bereits in der Schule anzusetzen“, sagt eine Sprecherin. Während alle noch über das ob diskutieren, füllen die Mitglieder der Bildungsplankommissionen den Bildungsplan weiter mit Inhalten. Eines der fünf Leitprinzipien lautet „Akzeptanz sexueller Vielfalt“. Damit soll Sensibilität für andere Lebensweisen neben heterosexuellen Partnerschaften geschaffen werden. Im Herbst wird eine vorläufige Fassung des Bildungsplans zur Anhörung veröffentlicht, so der Plan des Kultusministeriums.

Zum Herbst 2015 soll der Bildungsplan an allen Grund- und weiterführenden Schulen außer den Gymnasien eingeführt werden. Was im Bildungsplan steht, gilt dann verbindlich. Ob es überall umgesetzt wird, ist aber fraglich. „Wir vertrauen auf die Lehrer. Die haben eine Loyalitätsverpflichtung gegenüber dem Kultusministerium“, sagt die Sprecherin. „Wir können natürlich keinen Wachhund in jedes Klassenzimmer setzen.“

■ „Bildungsziel sexuelle Vielfalt?“ Die taz diskutiert mit Andreas Stoch, Kultusminister, Annemarie Renftle, Arbeitskreis lesbischer Lehrerinnen in der GEW, Nico Mäder, Landesschülerbeirat, Christoph Michl, Organisator CSD in Stuttgart, Stefan Hartmann, Pädagogisch-Theologisches Zentrum der Evangelischen Landeskirche. Donnerstag, 27. März, 19 Uhr, Kulturzentrum Dieselstraße, Dieselstraße 26, Esslingen. Eintritt frei.