rassistischer angriff vor gericht
: Ohne Erinnerung an den Stoß vor die S-Bahn

Es war morgens um halb sieben Uhr, als der 19-Jährige von einer Party nach Hause ging. Am Bahnhof Frankfurter Allee wollte der dunkelhäutige Afrikaner in die S-Bahn steigen. Beinahe wäre er dabei umgekommen, denn eine 20-jährige Frau schubste ihn unmittelbar vor einen einfahrenden Zug. Nur dank zweier aufmerksamer Passanten und seiner Gelenkigkeit ist der Freizeitkickboxer noch am Leben. Der Vorfall ereignete sich am 2. März. Am Montag begann vor dem Landgericht der Prozess gegen die S-Bahn-Schubserin wegen versuchten Mordes.

Jacqueline A. ist eine sehr dicke Frau mit rot gefärbten Haaren. Aufmerksam folgt sie der Verhandlung, in der die Dinge besprochen werden, an die sie nur wenig Erinnerung habe, wie ihre Verteidigerin Kersten Woweries vorträgt. A. war an jenem Samstag mit Freunden in der Disco gewesen. Dort habe sie entgegen ihrer Gewohnheit sieben Glas Wodka getrunken, weil sie wegen eines Streits mit einer anderen Freundin aufgewühlt war.

In der Vorhalle des S-Bahnhofs sei es dann zum Streit mit ihrem Exfreund gekommen. Währenddessen habe sie sich von ihrem späteren Opfer angestarrt gefühlt. Das habe sie zum Vorwand genommen, um ihn zu beschimpfen und ins Gesicht zu schlagen. „Ich kann mir nicht erklären, warum ich so ausgerastet bin“, lässt die Angeklagte vortragen. Die dunkle Hautfarbe habe keine Rolle gespielt, es hätte jeden treffen können. „An den Stoß auf das Gleisbett habe ich keine Erinnerung“, so A.

Damit wolle sie nicht ihre Schuld bestreiten. Sie sei froh, dass dem Mann durch das beherzte Eingreifen Dritter nichts passiert sei. „Ich bin nicht rassistisch oder ausländerfeindlich eingestellt.“ Unter ihren Freunden seien Ausländer, ihr Exfreund war ein Türke.

Die Worte, die sie ihrem Opfer an den Kopf warf, lassen allerdings an ihren Beteuerungen zweifeln: „Was guckst du so, Nigger?“, habe sie ihm in der Vorhalle zugerufen, erinnert sich das 19-jährige Opfer vor Gericht. Der Freund von Jacqueline A. habe versucht, sie zu beruhigen, und zu ihm gesagt, er solle weitergehen, seine Freundin sei betrunken. Auf dem Bahnsteig gab ihm A. eine Ohrfeige, schubste ihn und schlug ihn wieder. Er habe geflucht und schon zurückschlagen wollen, aber eine Passantin hielt ihn fest und bat ihn, sich zu beruhigen. „Für mich war die Sache in dem Moment gegessen“, sagt er vor Gericht. Er habe sich eine Bratwurst gekauft.

Doch plötzlich sei er mit den Worten „Ich will den Nigger umbringen!“ und „Was willst du in meinem Land?“ von der Angeklagten zum Gleisbett geschubst worden. Der 80 Kilo schwere Mann verlor das Gleichgewicht und taumelte, bis er auf den Knien im Gleisbett landete. „Ich habe die Lichter gesehen“, beschreibt er den Anblick des Zuges, der nur noch 40 Meter von ihm entfernt war. Für einen Moment habe er überlegt, ob er sich hinter einen Vorsprung außerhalb des Gleisbettes retten sollte. Das wäre ebenso lebensgefährlich gewesen, erklärt der als Zeuge geladene Triebwagenführer. Leicht hätte er die regenfeuchte Stromschiene berühren können.

Glücklicherweise reichten ihm zwei Passanten die Hände. Unterdessen saß Jacqueline A. bereits in der S-Bahn in die Gegenrichtung. Eine Beobachterin wandte sich an den Fahrer und sorgte für die Verhaftung der Täterin. Der Passantin fiel auch der Tunnelblick der Angeklagten auf. Sie habe sich gefragt, welche Droge die junge Frau konsumiert haben könne. „Sie hat nichts gemerkt, nichts mehr gehört“, berichtet die Zeugin, die selbst über Drogenerfahrung verfügt. „Das war keine normale Aggressivität, da gehört mehr dazu“, schildert sie dem Gericht.

Damit könnte sie recht haben, denn in dem Prozess gegen die junge Frau sitzt auch eine Psychiaterin, die A. begutachtet hat. Zurückhaltend referiert Verteidigerin Woweries den Tenor des Gutachtens: Die Aggressivität sei in der Persönlichkeit der Angeklagten begründet und schließe eine verminderte Schuldfähigkeit nicht aus. Das Urteil wird für übernächsten Freitag erwartet. UTA EISENHARDT