Kriminaltechnik: Was der Täter zurückließ

Im Fernsehen wird es immer spannend, wenn die Spurensicherung anrückt. Im wahren Leben hat die Arbeit der Spusi weniger mit Mord und viel mit Routine zu tun.

Verräterische Spuren Bild: AP

Alle kennen es aus dem Fernsehen: Wenn in einem Krimi die Spurensicherung anrückt, ist mächtig was los. Uniformierte Schutzpolizisten sperren den Tatort weiträumig mit rot-weißem Flatterband ab, dann kommen die Spezialisten von der Kriminalpolizei in weißen Papieroveralls, mit Gummiüberzügen an den Schuhen und Händen und mit großen Metallkoffern. Dieses filmreife Szenario gibt es tatsächlich. Allerdings sieht der Alltag der BeamtInnen von der "Spusi" meist ein bisschen anders aus als im TV.

Es ist früher Morgen bei den SpezialistInnen in der Direktion 3, zuständig für Mitte, Tiergarten und Wedding. Eigentlich sollten vier bis fünf Teams mit je zwei KriminalistInnen bereitstehen, da so mancher Vorfall in der Nacht erst am Morgen entdeckt wird. Doch an diesem Tag sind es nur zweieinhalb Teams: Kriminaloberkommissar Thomas Hecht muss mit sich selbst auskommen. Das stört ihn nicht weiter: Er ist ein Profi seines Fachs.

Kurz nach acht Uhr sein erster Einsatz. Aus einem der Bürohochhäuser am Potsdamer Platz wird ein Einbruch gemeldet, Reinigungskräfte haben ihn festgestellt. Hecht macht sich auf den Weg. Im fünften Stock des Gebäudes liegt die Glastür eines Büros in Scherben, weitere Einbruchsspuren sind auf den ersten Blick nicht zu erkennen: keine aufgebrochenen Schränke oder sonstige Verwüstungen.

Hecht steigt vorsichtig über die Glassplitter und sieht sich um. Am herumliegenden Türgriff sind rote Farbspuren zu erkennen. Von den zwei im Flur hängenden Feuerlöscher können sie nicht stammen. "Wäre ja unlogisch, die wieder hinzuhängen", meint Hecht lakonisch. "Gab es hier einen Laptop?", fragt er die eintreffenden Angestellten, nachdem er auf dem Schreibtisch herumliegende Kabel entdeckt hat. Eigentlich, stellt sich heraus, sollten die Computer bei Feierabend mitgenommen werden. Doch die zuständige Angestellte hat dies nicht getan. Der Laptop ist also weg.

"Das ist nun schon der vierte Einbruch innerhalb weniger Monate", sagt eine Kollegin. Da wird der Mann von der Spusi hellhörig. Also alle Fragen noch einmal: Wann wird abgeschlossen? Wer hat Zutritt? Wer war zuletzt da? Am Ende bleibt als Zugangsmöglichkeit nur noch die Nottreppe ins Parkhaus - aber die ist von außen nicht zu öffnen. Hecht überprüft sie dennoch. Vergeblich: keine Einbruchsspuren.

"Hier ist keine weitere Spurensicherung sinnvoll", folgert er - und empfiehlt eine polizeiliche Beratung zur Einbruchsprävention. Die weitere Bearbeitung wird ein Fachdezernat übernehmen. Arbeitszeit vor Ort: eine Stunde. Da es keinen neuen Fall gibt, fährt Hecht in die Dienststelle, um seinen Bericht zu schreiben.

Im Bereitschaftsraum hat er etwas Zeit für einen Plausch mit zwei Kollegen, doch dann werden Ruth Schulz und Peter Meyer zu zwei Autoaufbrüchen geschickt. Beide in derselben Straße. Am Tatort stellt sich schnell heraus, dass das nur ein Fall für die Versicherung wird. Die Seitenscheiben sind eingeschlagen, die Autoradios geklaut.

Trotzdem sichern die beiden Beamten eventuelle Spuren. Soweit möglich: Die geriffelten Oberflächen von Autoarmaturen sind meist dafür ungeeignet; da hilft auch das Rußpulver nicht weiter. "Aber vielleicht kommen wir über eBay weiter", meint die Beamtin und fragt nach den Seriennummern. Natürlich weiß die keiner der beiden Geschädigten. Sie brauchen einfach nur das Protokoll für die Versicherung.

Zurück im Bereitschaftsraum. "Thomas, machst du allein auch ne Leiche", fragt der Schichtleiter Kriminaloberkommissar Hecht. "Na klar! Kann ich dir auch den Journalisten mitgeben?" Beide haben damit kein Problem. Ein 74-Jähriger war von seiner Nachbarin morgens um 10.50 Uhr reglos inmitten erbrochenen Blutes in seinem Bett gefunden worden. Nach einer Viertelstunde waren Feuerwehr und Notarzt da, doch die Wiederbelebungsversuche blieben erfolglos. Todesursache unbekannt - ein Fall für die Kripo, also für Hecht. Fünfundvierzig Minuten später ist er vor Ort. Zwei Uniformierte warten schon, um sicherzustellen, dass nichts verändert werden kann.

"Ist das die Auffindesituation?", fragt Hecht, obwohl er die Antwort schon weiß. Von der Nachbarin ist zu erfahren, dass der Mann unter Asthma und hohem Blutdruck litt. Seit zwei Jahren hatte er seine Wohnung im dritten Stock nicht mehr verlassen. Der Hausarzt und ein Pflegedienst kümmerten sich um ihn; die Nachbarin besorgte seine Einkäufe und sah nach ihm.

Zuletzt habe sie ihn am Vorabend besucht, berichtet die Frau. Seit neun Jahren wohnt sie nebenan, von seinen vier Kindern habe sie in dieser Zeit keines gesehen, auch deren Adressen kenne sie nicht. Bei einer ersten Durchsicht seiner Papiere ist hierzu ebenfalls nichts zu finden. Kommissar Hecht schaut sich den Medikamentenvorrat an: Er erscheint ihm angesichts des geschilderten Krankheitsbildes etwas klein. Dann ruft Hecht den Hausarzt an, doch der ist nicht zu erreichen.

Schließlich richtet er den Blick auf den Leichnam selbst: Er tastet den Kopf auf eventuelle Prellungen ab, sucht nach Leichenflecken, obwohl nach so kurzer Zeit eigentlich keine da sein können. Abschließend dreht er den Körper, um sicherzustellen, dass es auch das sprichwörtliche Messer im Rücken nicht gibt. Beides gehört zu den kriminalistischen Grundregeln an einem Leichenfundort.

Nachdem auch die letzten Fotos geschossen sind, steht Thomas Hecht vor der schwierigsten Aufgabe: Er muss entscheiden, ob eine Obduktion durchgeführt werden soll. "Eigentlich sehe ich keinen Grund, den alten Herrn aufschneiden zu lassen", meint er. Die letzte Entscheidung hierüber fällt ein Staatsanwalt, der Leichnam wird beschlagnahmt. Den Wohnungsschlüssel der Nachbarin erhalten die uniformierten Kollegen; sie müssen auf den Abtransport durch den Bestatter warten. Nach knapp einer Stunde rückt Hecht ab.

Zurück in der Direktion wird er seinen Bericht schreiben. Die dann zuständigen KollegInnen werden Kontakt mit dem Hausarzt und dem Pflegedienst aufnehmen. Zudem müssen die Angehörigen ermittelt werden, um Wohnungsauflösung und Bestattung zu organisieren.

Für Thomas Hecht ist der Fall damit abgeschlossen. Er wartet auf den nächsten Einsatz. Sollte es ein Mordfall sein, wird er weitere Spezialisten von der Kriminaltechnik hinzuziehen. Dann sieht es wirklich so aus wie im TV.

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