„Er war der erste Punk“

MUSIKFILM Das Festival In-Edit eröffnete mit „A Man Within“, einem Film über die Beat-Poet-Legende William S. Burroughs. Ein Interview mit Regisseur Yony Leyser über Vorbilder und Kritik am Spätkapitalismus

VON HANNO STECHER

taz: Herr Leyser, Ihre Dokumentation „A Man Within“ über den Schriftsteller William S. Burroughs wird zusammen mit Dokus über Musiker wie Johnny Cash oder David Bowie gezeigt. Ein passender Rahmen?

Yony Leyser: Der Film wurde ja bereits auf ganz unterschiedlichen Festivals gezeigt, von großen Mainstream- über Literaturfilmfestivals bis hin zu schwul-lesbischen Festivals. Ich finde das interessant. Es zeigt, wie sehr sich Burroughs mit seinem Werk über viele Bereiche der Kunstwelt hinweggesetzt und sie zugleich beeinflusst hat. Dabei war er gerade für Musiker besonders wichtig, was im Film durch die Auswahl der Interviewpartner viel Raum einnimmt. Insofern passt das gut.

Warum war Burroughs so wichtig für Musiker unterschiedlicher Generationen?

Für die Punkmusik war es sicherlich seine antiautoritäre Haltung. Er war gewissermaßen der erste Punk – der erste, der sich in dieser Weise gegen Autoritäten aufgelehnt hat. Für Künstler wie David Bowie war es wohl eher seine Cut-up-Technik, also die Idee, ein Kunstwerk auseinanderzunehmen und neu zu montieren, während er für Lou Reed vermutlich wegen seines Heroinkonsums faszinierend war.

Was ist Ihr persönlicher Zugang zu Burroughs, woher stammte die Idee, einen Film über ihn zu machen?

Ich bin in einem Vorort von Chicago aufgewachsen und dann mit 14 in die Stadt gezogen. Burroughs’ Buch „Naked Lunch“ war damals mein Zugang zu vielen Dingen wie Kunst, zur Kritik am Spätkapitalismus, aber auch zu queerer Subkultur und Punk. Als ich dann mit Anfang 20 aus der Chicago Academy for the Arts geflogen bin, weil ich in einem Kunstwerk den Dekan kritisiert hatte, kehrte ich quasi zu Burroughs zurück. Ich wollte mit dem Film eine pädagogische Erfahrung machen, ich wollte wirklich etwas lernen.

Neben viel seltenem Bildmaterial basiert „A Man Within“ zu einem großen Teil aus Erzählungen und Gedanken prominenter Freunden und Weggefährten Burroughs’ wie Patty Smith, Iggy Pop oder des schwulen Filmemachers John Waters. Es scheint Ihnen wichtig gewesen zu sein, möglichst viele zu Wort kommen zu lassen.

Ja, ich hatte das Gefühl, dass sein Werk so gewaltig ist, dass es für mich schwierig werden würde, mich ihm über die Interpretation seiner Arbeit zu nähern. Ich denke, seine Worte stehen für sich, da gibt es nichts hinzuzufügen. Stattdessen wollte ich wissen, wer sich hinter den Worten verbirgt. Außerdem war klar, dass es ein guter Zeitpunkt wäre, seine Freunde über ihn sprechen zu lassen. Viele von ihnen sind inzwischen älter, wer weiß, wie lange sie noch unter uns sein werden. Für die Interviewpartner lag die Zeit mit ihm weit genug zurück, sodass es ihnen keine Probleme bereitete, über ihre Erinnerungen zu sprechen.

Wie haben Sie das gemacht, als Zwanzigjähriger ohne große Reputation als Filmemacher an diese Leute heranzukommen?

Das war ziemlich mühsam und hat viel Zeit gebraucht. Ich bin beispielsweise per Anhalter zu Auftritten von Künstlern gefahren und habe sie dann mit gefälschtem Pressepass backstage angesprochen. Wichtig war mir, Menschen im Film zu haben, die einerseits stark von Burroughs beeinflusst sind, die aber auch selbst viele Menschen beeinflusst haben. Ich wollte die Genealogie seines Einflusses zurückverfolgen, wie das die New York Times so schön gesagt hat.

Ein im Film behandelter Aspekt ist auch die Zensur von Kunst in den USA, eine Debatte, die derzeit wieder aufflammt. Auch Ihr Film geriet zwischen die Fronten, was ist genau passiert?

„A Man Within“ lief auf PBS, dem einzigen überregionalen öffentlichen Sender in den USA. Er hatte da eine Einschaltquote von 5 bis 10 Millionen Menschen und lief in einer gekürzten Version – der Punkrockteil, aber auch Stellen, in denen es um Sex und Queeres geht, wurden rausgekürzt. Nichtsdestotrotz wurde er in einem Gerichtsverfahren, bei dem der Kongress versucht hat, dem Sender Fördergelder zu streichen, als „Beweismittel“ eingesetzt. Man wollte zeigen, dass auf PBS zu „gewagte“ Sendungen zu sehen seien. Laut einer Tageszeitung wurde „A Man Within“ gezeigt, um zu demonstrieren, dass der Sender einen Film über einen schwulen Junkie gemacht habe, der nun wirklich kein Vorbild sein könne. Die Förderung wurde aber glücklicherweise beibehalten.

Warum haben Sie überhaupt der Ausstrahlung in gekürzter Version zugestimmt?

Ich bin ein großer Befürworter des öffentlich-rechtlichen Fernsehens. So konnte auch ein kleiner Haushalt in Mississippi meinen Film sehen. Das ist mir lieber, als ihn auf einem privaten Kanal wie HBO zu zeigen, wo die Zuschauer schon ein bestimmtes Vorwissen haben. Wenn ich mir vorstelle, dass vielleicht bei jemandem im Nirgendwo in Nebraska etwas von „A Man Within“ hängen bleibt, zum Beispiel, wer John Waters ist, finde ich das großartig.

■ Yony Leyser wurde 1985 in Chicago geboren

■ „A Man Within“ heute um 22.45 Uhr im Movimiento. Infos unter www.in-edit.de