Turm sucht Visionär

ARCHITEKTUR Der Turm der Weißenseer Bethanienkirche ist seit Kriegsende eine beeindruckende Ruine. Ein Architekt versucht ihm neues Leben einzuhauchen. Nur der passende Investor fehlt

■ Dass Kirchenbauwerke aus Geldnot verkauft werden, ist kein Einzelfall. Die Evangelische Kirche in Berlin und Brandenburg hat seit der Wende rund zwanzig Gebäude abgegeben. Die serbisch-orthodoxe Friedenskirche in Wedding oder die koptische Glaubenskirche in Lichtenberg gehörten einst evangelischen Gemeinden. Die Martin-Luther-Kirche in Pankow musste 2003 dem Parkplatz eines Supermarkts weichen: Die Sanierung des hölzernen Dachs wäre zu teuer gewesen. Besser ging es der Eliaskirche in Prenzlauer Berg: Vor zehn Jahren wurde sie zum Kinder- und Jugendmuseum und evangelischen Kindergarten. BC

VON BARBARA CUNIETTI

Auf dem Mirbachplatz in Weißensee, in der Mitte eines Verkehrsrondells, steht ein Turm. Ein Kirchturm, aber ohne Kirche. Wie eine solitäre Schachfigur thront er über den benachbarten Häusern. Ein schwarz gekleideter Mann öffnet eine Tür in dem Gitterzaun, der das Gebäude umgibt. Bernd Bötzel trägt die grauen Haare kurz, die seriöse Brille kontrastiert mit einem glänzenden Ohrstecker. Der Turm gehört ihm.

Im Januar 2008 hat der 47-jährige Architekt den Bethanien-Turm von der Evangelischen Kirche gekauft. Der Turm ist alles, was der 2. Weltkrieg von der Bethanienkirche übrig gelassen hat. Bötzel will etwas machen aus dem imposanten Gebäude. Er sucht einen Investor, der bereit ist, in sein Projekt sechseinhalb Millionen Euro zu investieren.

Jahrzehntelanger Schlaf

Im Jahr 1902 von Kaiser Wilhelm II. eingeweiht, war das neugotische Gotteshaus ein sozialer Mittelpunkt Weißensees, der 65 Meter hohe Turm aus Kalksandstein und Backstein ein Wahrzeichen des Viertels. Ein Bombenangriff im Februar 1945 zerstörte die Mittel- und Seitenschiffe der Kirche. Der Kirchturm, der heute unter Denkmalschutz steht, fiel in einen jahrzehntelangen Schlaf, blieb unbenutzt und unsaniert. Die Gemeinde konnte sich eine Instandsetzung nicht leisten.

Heute erinnern nur seine drei Glocken, von denen eine zu Ehren der Kaiserin den Namen „Auguste Viktoria“ trägt, an das frühere Leben der Kirche. Samstags und sonntags rufen sie zum Gottesdienst in der Weißenseer Pfarrkirche an der Berliner Allee, von wo aus sie auch ferngesteuert werden. Aber auch künftig werden die Glocken läuten: So verfügt es der Kaufvertrag zwischen der Kirchengemeinde und Bernd Bötzel.

„Es ist wichtig, dass man die Geschichte des Turmes weiterhin erkennt und fühlt“, erklärt Bötzel, während er über die kleine Türschwelle tritt. Eine steile Holztreppe führt nach oben. Rechts öffnet sich eine Wölbung, hier stand früher die Orgel. Auf dem Boden liegt Schutt, der auch 65 Jahre nach Kriegsende noch nicht weggeräumt ist. In seiner schwarzen Lederhose steigt Bötzel die Treppe hinauf, alle Etagen sind noch da, wenn auch stark beschädigt. Sogar das alte Uhrwerk steht verrostet, aber vollständig auf dem dunkelbraunen Holzboden herum.

Bötzel hat schon ganz konkrete Pläne, wie er den Kirchturm umbauen will: eine begrünte Dachterrasse, ein halbmondförmiger Anbau. In die vierte Etage des Turms könnte sogar ein Schwimmbecken eingebaut werden. Im Moment gibt es hier freilich nichts zu sehen außer Holzdielen voller Taubenkot. „Es können auch Wohnräume entstehen, aber ein reines Wohngebäude kann es nicht werden“, erklärt der Architekt. „Wegen der hohen Renovierungskosten wären die Mieten unbezahlbar.“ Deshalb konnten auch die Immobilienmakler, die sich den Turm bisher angesehen haben, nichts damit anfangen.

Bötzel, Geschäftsführer der Projektentwicklungsgesellschaft Planufaktur und Vorstandsmitglied von Diederichs Projektmanagement, wurde im Jahr 2001 auf den Bethanien-Turm aufmerksam. Damals wohnte er in der Nähe und suchte ein Thema für einen Vortrag über Projektplanung. „Ich habe angefangen, Projekte für den Turm zu entwickeln“, erzählt er. „Schließlich habe ich mit der Kirche vereinbart, dass ich den Turm kaufe und einen Investor für den Umbau suche.“ Am Anfang träumte der Projektentwickler davon, selbst in dem historischen Bauwerk zu wohnen – bis er die Sanierungskosten durchgerechnet hatte. Für mich allein war das unmöglich“, sagt Bötzel. „Allein um das Dach zu renovieren, braucht man 165.000 Euro.“ Aus dem Traum wurde der Wunsch, ein Galeriehaus zu entwickeln. Der Turm als sechsstöckiger Altbau und der angeschlossene Neubau könnten bis zu 3.500 Quadratmeter Fläche bieten. Architektonisch würde der Turm dabei wenig verändert werden, die breiten Bögen aus Backstein, die Fenster und Treppen sollen erhalten bleiben.

„Es ist wichtig, dass man die Geschichte des Turms noch fühlt“

BERND BÖTZEL, TURMBESITZER
Ein Typ wie Berggruen

Bötzel hat bereits ein ausgefeiltes 3-D-Modell entworfen, man kann es auf der Internetplattform „Second Life“ besichtigen. Um diesen Entwurf zu verwirklichen, wären 6,8 Millionen Euro nötig. „Man kann aber auch deutlich kleiner und günstiger bauen“, präzisiert der Architekt. Leicht wird es dennoch nicht sein, jemanden zu finden, der etliche Millionen Euro als Kapital einbringen kann, ohne Spekulant zu sein. „Es könnte vielleicht ein Botschafter sein, der hier eine besondere Residenz hier bauen will“, sagt Bötzel. Oder ein Kunstmäzen, der das Galerie-Projekt fortführen würde. „Ich brauche einen Typen wie Nicolas Berggruen, der eine Vision hat und nicht nur Geld herausschlagen will.“

Bötzel hat mit vielen ausländischen Interessenten gesprochen und ihnen sein Projekt mit interkultureller Sensibilität präsentiert. Die Russen ließen sich von der Idee mit dem Pool beeindrucken, die Chinesen staunten über die Tatsache, dass der Bau einst vom deutschen Kaiser persönlich eingeweiht wurde. Den Amerikanern reicht schon das magische Wort „Berlin“. Mithilfe einer New Yorker Immobilienmaklerin geht die Suche in Richtung Vereinigte Staaten. Selbst Leonardo DiCaprio wurde schon kontaktiert. Leider zeigte er kein Interesse.

Bötzel schließt die kleine Tür ab, so als ob der Turm seine Wohnung wäre. Nach all den Jahren ist eine Beziehung zwischen der Ruine und dem Architekten entstanden. Auch die Symbolik des Ortes bedeutet ihm etwas: „Ich habe eine deutlich christliche Orientierung, mir ist wichtig, dass der Turm zu neuem Leben erweckt wird“, sagt Bötzel. „Das ist das erste Mal, dass ich ein Projekt selbst mache und nicht nur für andere betreue. Deshalb gebe ich nicht auf.“ Der Herr des Turms wird weiter an seinem 3-D-Modell basteln. In der Hoffnung, dass eines Tages aus Pixeln Steine werden.