Im Kittchen ist hoffentlich ein Zimmer frei

PROZESS Ein Räuber spielt erst verrückt, um nicht in den Knast zu müssen. Nun will er lieber nicht irre sein

Eigentlich ist Joel B. ein ganz normaler Schlecker-Räuber. Ein Drogenkonsument, der sich im Winter 2008/2009 mit einem Messer oder einer Schreckschuss-Pistole bewaffnete und die Verkäuferinnen kurz vor Ladenschluss mehr oder wenig höflich darum bat, den Kasseninhalt herauszurücken. Dass er sich während seiner fünf Taten entschuldigte und seinen Opfern versicherte, es täte ihm leid, gerade sie zu überfallen, mag etwas ungewöhnlich sein. Auch dass er während seiner Taten auffällig gemusterte HipHopper-Jacken trug – sonst nichts.

Wäre der heute 24-Jährige bei seinem ersten Prozess im Dezember 2009 zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden, hätte das kaum jemand zur Kenntnis genommen. Doch dem Schulabbrecher gelang, was schon viele versuchten: Er machte „einen auf Macke“. Er überzeugte den psychiatrischen Gutachter und später auch das Gericht, dass er an einer „paranoiden Wahnvorstellung aus dem schizophrenen Formenkreis“ leide. Er wurde im Maßregelvollzug, der geschlossenen Psychiatrie für Rechtsbrecher, untergebracht. Eineinhalb Jahre lang hielt er es im Kreis der psychisch Kranken aus, dann offenbarte er sich dem Chefarzt. Seit Dezember verhandelt das Landgericht erneut gegen den Räuber. Nun klären die Richter, ob Joel B. tatsächlich psychisch krank ist.

Er habe bei seiner Festnahme im März 2009 angegeben, ein Heroin-Konsument zu sein, davon habe er sich hochdosiertere Medikamente gegen die zu erwartenden Drogenentzugserscheinungen versprochen, gibt der Angeklagte am Dienstag vor Gericht zu. Von der Ärztin habe er ein Merkblatt erhalten, in dem auch die Symptome der paranoiden Schizophrenie beschrieben waren. Im Juni 2009 habe er dann von den Stimmen erzählt, die er höre. Als er dann noch Einweg-Rasierklingen verschluckte, war das „der Zubringer zur Psychoschiene“, wie es der Gutachter Thomas Kasten formuliert.

Geschickt wandte er sich beispielsweise an den Gutachter mit den Worten: „Wenn ich Ihnen das erzähle, dann läuft es auf den Maßregelvollzug hinaus, das will ich nicht.“ Zusätzlich wirkte Joel B. durch die verabreichten Neuroleptika sehr „starr“. Als dann noch Zeugen im ersten Prozess berichteten, dass sie gehört hätten, wie der Angeklagte regelmäßig mit sich selbst sprach, attestierten ihm die Richter die Schizophrenie.

Doch Joel B. war überrascht, „wie schrecklich es in einem psychiatrischen Krankenhaus ist. Es ist kaum vorstellbar, wie die Leute da drauf sind“, teilt er nun über seine Anwältin mit. „Als ich das Gefühl bekommen habe, dass ich das als Gesunder nicht über mehrere Jahre aushalten kann“, habe er gedacht, er müsse das richtigstellen. Er wird nicht um einen langen Gefängnisaufenthalt herumkommen: Der Staatsanwalt hat acht Jahre Haft gefordert. UTA EISENHARDT