Charité: Schnitzel nach Wiener Art

Wegen der Sanierung des Bettenhochhauses wird die Kantine der Charité abgerissen. Bis die neue fertiggestellt ist, sollen die Mitarbeiter auf Nobelrestaurants ausweichen.

Soll das vier oder 14 Euro kosten? Bild: Reuters

Es ist ein bescheidenes Grillfest: drei Bierbänke, auf denen Würste und Nackensteaks liegen. Ein paar Dutzend Gäste sind gekommen. Sie stehen vor dem Versorgungszentrum der Charité in Mitte, einem rechteckigen Block mit großer Fensterfront. Die Gäste kauen lustlos auf ihren Bratwürsten herum, die Grillmeister drehen schweigend das Fleisch. Eigentlich soll hier der Beginn der Baumaßnahmen am Campus Mitte gefeiert werden. Aber: „Nach Feiern ist uns wirklich nicht zumute“, sagt ein Pfleger. Denn mit dem Baubeginn geht auch die Schließung des Versorgungszentrums einher. „Wir kriegen hier ab Freitag einfach nichts mehr zu essen“, sagt der Pfleger, der seit sechs Jahren an der Charité arbeitet.

Das Versorgungszentrum verpflegt täglich viele hundert der 4.000 Mitarbeiter am Campus. Sie kommen vor allem zum Mittagessen in die Kantine, die sie hier „Fresswürfel“ nennen. Nun wird das Gebäude im Zuge der Sanierung des Bettenhochhauses abgerissen. Von den knapp 760 Betten aus dem abgenutzten Hochhaus wird die Hälfte auf die Charité-Standorte Benjamin Franklin in Steglitz und Virchow in Wedding verlagert. Der Rest soll in einem Containerbau unterkommen. Und der wird nun dort gebaut, wo gerade noch die Kantine steht.

Keine Alternative geboten

Der Frust unter den Mitarbeitern ist groß. „Die Versorgungssituation für uns ist beschissen“, sagt ein Chirurg. „Uns wird einfach keine Alternative zum Fresswürfel geboten“, beschwert sich eine Frau, die seit zwölf Jahren in der Verwaltung des Universitätsklinikums tätig ist. „Wo sollen wir jetzt essen? Etwa bei Fernsehköchin Sarah Wiener hier um die Ecke?“

Was klingt wie ein zynischer Kommentar, bezieht sich auf einen tatsächlichen Vorschlag der Charité-Führung. Die Mitarbeiter berichten von einer Liste, die der Vorstand vor einigen Wochen im Intranet der Charité verbreitete. Dort waren Restaurants der näheren Umgebung gelistet, auf die die Mitarbeiter alternativ ausweichen sollten. Und die Gegend zwischen Hauptbahnhof und Friedrichstraße ist nun mal nicht für ihre günstige Küche bekannt: „Neben Sarah Wiener standen auch Habel Weinkultur und diverse Hotelrestaurants auf der Liste“, sagt die Mitarbeiterin aus der Verwaltung. „Solche Mittagspausen kann ich mir mit meinem Gehalt wirklich nicht leisten.“

Zum Vergleich: Ein Mittagessen in der Charité-Kantine kostet die Mitarbeiter rund 4 Euro – ein Hauptgericht bei Habels das Dreifache. Die Restaurantliste sorgte bei der Belegschaft für so viel Ärger und Spott, dass sie mittlerweile aus dem Intranet verschwunden ist.

Zwar soll der neu entstehende Containerbau in Mitte auch eine Kantine enthalten. Doch er wird vor Sommer nächsten Jahres nicht fertig werden. Zudem werde die neue Kantine nur über 120 Plätze verfügen, sagt Carsten Becker vom Personalrat der Charité. Der alte Versorgungsbau hatte Platz für 400 hungrige Mitarbeiter. Für Becker ist die Sache klar: Die Kantine sei eine Sozialeinrichtung. „Sie einzudampfen, das sagt was über die Wertschätzung der Mitarbeiter in diesem Haus aus“, so Becker. „Die Leute arbeiten hier bereits an der Belastungsgrenze. Wir müssen mit immer weniger Personal immer mehr Patienten versorgen.“ Ein Großteil der Beschäftigten könne gar nicht zu Mittag essen, weil die Belastung zu hoch sei – und der Rest bekäme nun nichts mehr, fasst Becker zusammen. Der Personalrat kämpfe derzeit für eine Notlösung. „Es wird wohl zwei Ausgabestationen geben, an denen sich die Mitarbeiter kalte Gerichte abholen können. Die müssen sie sich dann in der Mikrowelle warm machen“, sagt Becker.

Frau F. arbeitet seit 35 Jahren in der Charité-Kantine. Während vor der Tür noch der klägliche Versuch eines Grillfests stattfindet, läuft sie drinnen durch den Essensraum. Weiße Tischreihen stehen dicht an dicht, in den Ecken stehen Zimmerpalmen. An den holzvertäfelten Wänden kleben Bilder von Käse und Wassermelonen. „Tschüss, Fresswürfel“, sagt sie und schließt die Glastür ab.

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