Keine Sieger, keine Verlierer, nur Gewinner

FLUCHT In Kreuzberg spielen Flüchtlinge aus dem Oranienplatz-Camp mit Unterstützern und Anwohnern Fußball. Nicht ums Gewinnen geht es, sondern einfach darum, sich näher zu kommen

Die Probleme der Flüchtlinge liegen in der deutschen Asylpolitik genauso wie im europäischen Grenzregime. Gegen beides ist mit Fußball nicht viel auszurichten

VON JAN TÖLVA

Eigentlich hätte Hans-Christian Ströbele auch mitspielen sollen. Aber weil gerade Wahlkampf ist und er vor einem Jahr eine Verletzung am Meniskus hatte, belässt es der grüne Bundestagsabgeordnete sicherheitshalber bei einem werbewirksamen Besuch am Spielfeldrand. „Die von der CDU sollten sich das hier vielleicht auch mal anschauen“, schlägt er vor.

Sonntagnachmittag: Auf dem Sportplatz in der Kreuzberger Lobeckstraße wird ein Fußballturnier ausgetragen. Mit von der Partie sind Flüchtlinge aus dem Camp auf dem nahegelegenen Oranienplatz, Unterstützer und Anwohner. Nicht Gewinnen oder Verlieren soll im Mittelpunkt stehen, sondern der Fußball als Ort der sozialen Interaktion, des Sich-näher-Kommens. Mit mehr als 40 Spielern wird in sechs ausgelosten Teams auf zwei Kleinfeldern gegeneinander gespielt. Einen Sieger soll es am Ende nicht geben, ebenso wenig wie Verlierer.

Rund ein Drittel der Spieler lebt derzeit im Flüchtlings-Camp auf dem nahegelegenen Oranienplatz oder ist in anderer Weise an den aktuellen Asylprotesten beteiligt. Hinzu kommen Anwohner, ein paar zufällig vorbeigekommene Jugendliche sowie Spieler des Kreuzberger Fußballvereins THC Franziskaner. Auch die örtlichen Grünen sind mit einigen Aktiven vertreten.

Deren Direktkandidat Ströbele sagt am Rand des Platzes, dass es darum gehe, auf die Probleme der Flüchtlinge aufmerksam zu machen, aber auch darum, diese nicht immer als Fremde wahrzunehmen – sondern als Menschen, mit denen man genau dasselbe macht wie mit anderen. Zum Beispiel Fußball spielen.

Am Dialogtisch erdacht

Die Idee für das kleine Turnier ist vor etwa einem Monat im Rahmen des Dialogtisches entstanden, der vom damaligen Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) ins Leben gerufen wurde, nachdem es rund um das Camp auf dem Oranienplatz zu Spannungen zwischen Aktivisten und Anwohnern gekommen war. Partner für die Idee waren schnell gefunden. Neben dem Verein Kotti e. V. trug vor allem der Fußballclub THC Franziskaner zum Gelingen bei. „Unser Verein wurde vor 25 Jahren auf dem O-Platz gegründet und wir verstehen uns als solidarischer Kiezverein“, erzählt Janko Wilken, „da lag es nahe, jetzt die Flüchtlinge zu unterstützen.“

Der Verein ist jedoch nicht nur an dem Turnier beteiligt, er bietet auch seit Längerem freies Fußballspiel für die Flüchtlinge an, hat dafür extra Fußballschuhe gesammelt und von Freunden beim FSV Hansa 07 einen Satz Trikots bekommen.

Vielen der geflüchteten Spieler ist anzusehen, dass sie nicht zum ersten Mal Fußball spielen und großen Spaß daran haben – doch ohne einen Pass, den Flüchtlinge oft nicht haben, haben sie keine Möglichkeit, am regulären Spielbetrieb des Berliner Fußballverbandes teilzunehmen. „Wir würden wirklich gerne als richtiges Team spielen“, erzählt Kokou, der aus Togo kommt, nach dem Turnier, am Rande des Nachbarschaftsfests auf dem Oranienplatz. Bei türkischer Livemusik und afrikanischem Essen sitzen die Spieler und viele andere beieinander. Von Spannungen ist nichts zu merken in diesem Moment. „Ich kenne natürlich nicht alle Leute hier, aber viele, mit denen ich gesprochen habe, sind nicht gegen uns“, meint auch Kokou. Was einige Anwohner dagegen stört, sind die hygienischen Zustände. Dass es hier durchaus zu Verbesserungen gekommen ist, wird in der Nachbarschaft erst langsam wahrgenommen.

Sicherlich kann ein Turnier wie dieses nicht alle Probleme lösen, die es rund um das Flüchtlingscamp gibt. Schließlich liegen die Ursachen dieser Probleme ganz woanders, in der deutschen Asylpolitik genauso wie im europäischen Grenzregime. Gegen beides ist mit Fußball nicht viel auszurichten. Was der Fußball jedoch kann – und was das ausdrückliche Ziel des Turniers war –, ist, Menschen zusammenbringen und ihnen soziale Teilhabe ermöglichen. Und er kann Spaß machen, findet auch Paula Riester, Fraktionssprecherin der Grünen in der BVV Friedrichshain-Kreuzberg und einzige weibliche Spielerin des Turniers. „So etwas kann man gerne wiederholen“, meint sie. In einem Stadtteil wie Kreuzberg sollte das doch wohl möglich sein.