„Vielleicht müssen wir radikaler werden“

DIE MIETER Barbara und Wolfgang Tharra wohnen seit Mitte der 60er Jahre in der Großgörschenstraße in Schöneberg. Nun soll ihr Haus von der bundeseigenen Bima zum Höchstpreis verkauft werden. Seitdem gehört das Ehepaar zu den Aktivisten gegen Spekulation, hängt Transparente auf und schreibt Briefe, unter anderem an die Bundeskanzlerin

■ Barbara Tharra wurde 1943 in Berlin geboren. Sie wuchs in Kreuzberg am Hohenstaufenplatz auf und zog mit ihrem Mann Wolfgang Tharra 1967 in die Schöneberger Großgörschenstraße. Sie hat Reformfachverkäuferin und Drogistin gelernt und arbeitete 25 Jahre in einem Reformhaus an der Blissestraße.

■ Wolfgang Tharra wurde 1941 in Berlin geboren und wuchs in Neukölln auf. Er absolvierte eine Ausbildung zum Maschinenbauer und arbeitete sechs Jahre in der Bundesdruckerei als Reparaturschlosser für Druckmaschinen. Anschließend studierte er Maschinenbau und Fertigungstechnik und arbeitete bei der Flughafengesellschaft. Seit 2004 ist er im Ruhestand.

■ Interessengemeinschaft GroKa: Die Bürgerinitiative der vier Häuser in der Großgörschenstraße 25–27 und Katzlerstraße 10 und 11 wurde im Dezember 2013 gegründet. Damals wurde bekannt, dass die Häuser von der bundeseigenen Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima) im Höchstpreisverfahren verkauft werden sollen. Einen Verkauf an die Mieter hat die Bima abgelehnt. Seitdem hängen an den Häusern Transparente. Besichtigungstermine wurden zu intensiven Gesprächen mit den Bewerbern genutzt.

■ Die Bima: Nachdem Verhandlungen mit der landeseigenen Gewobag gescheitert waren, bot die Bima die Häuser seit Mai zum Verkauf an. Die Ausschreibung endete vergangene Woche. Eine Entscheidung soll es im September geben. Die Gewobag hat trotz der gescheiterten Verhandlungen ein neues Angebot abgegeben. Auch die IG GroKa hat sich zusammen mit der Genossenschaft Bremer Höhe beworben. Ihr Angebot von 4,6 Millionen liegt aber unter der angeblichen Mindestforderung der Bima von 7,1 Millionen. (wera)

INTERVIEW UWE RADA
FOTOS ROLF ZÖLLNER

taz: Frau Tharra, haben Sie denn schon eine Antwort von Frau Merkel bekommen?

Barbara Tharra: Nicht von ihr selbst. Aber zwei Tage später hat ihr persönlicher Referent angerufen. Was der mir gesagt hat, werde ich nicht so schnell vergessen.

Was hat er gesagt?

Barbara Tharra: Ich hätte ein falsches Demokratieverständnis, wenn ich glauben würde, dass die Kanzlerin für unser Anliegen zuständig sei. Ein starkes Stück.

Sie haben die Kanzlerin in Ihrem Brief um Unterstützung gebeten, weil Ihr Haus von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima) zum Höchstpreis verkauft werden soll. Was befürchten Sie konkret?

Barbara Tharra: Am stärksten ist die Furcht vor Verdrängung. Wenn jemand unser Haus kauft, der nur Profit machen will, werden die Mieten nicht mehr bezahlbar sein. Weil aber die Bima an den verkaufen will, der das meiste Geld bietet, ist die Gefahr umso größer. Die Menschen, die hier wohnen, haben keine Rieseneinkommen.

Wolfgang Tharra: Heute gab es schon wieder Besichtigungen.

Barbara Tharra: Entweder die wollen uns mit energetischer Sanierung rauskriegen, weil sie da die Miete verdreifachen können. Oder sie wandeln unsere Wohnung in eine Eigentumswohnung um.

Seit wann wohnen Sie in der Großgörschenstraße?

Wolfgang Tharra: Seit Mai 1967. Ich war damals in der Bundesdruckerei tätig, deshalb habe ich hier eine Wohnung bekommen. Das sind ja hier Bundeswohnungen, deswegen werden sie auch von der Bima verwaltet.

Wie sah es damals, vor fast fünfzig Jahren im Kiez aus?

Barbara Tharra (lacht): Viele Parkplätze, aber nur ein Spielplatz, der war in der Mansteinstraße. Dafür gab es zwei Obdachlosenheime. Da wohnten aber nicht etwa Leute, die unordentlich waren, sondern kinderreiche Familien, die hier in Berlin keine Wohnungen mehr gekriegt haben. Unsere Tochter ist mit diesen Kindern zur Schule gegangen. Ordentliche Leute. Schon damals gab es also Wohnungsnot.

Wolfgang Tharra: Damals wusste man nicht, was aus der Gegend wird. Ob zum Beispiel die Autobahn kommt …

Barbara Tharra: … die S-Bahn sollte weg. Aber der Zusammenhalt war nicht so stark wie heute. Gut, im Haus hat man sich gekümmert, wenn jemand ins Krankenhaus kam, aber im Kiez? Das Wort „Kiez“ war damals auch noch nicht so Mode.

Wo haben Sie vorher gewohnt?

Barbara Tharra: Am Rathaus Neukölln. Das war damals noch eine schöne Gegend. Wir haben uns gar nicht getraut, zu erzählen, dass wir nach Schöneberg an die Grenze zu Kreuzberg ziehen.

Yorckstraße und Großgörschenstraße galten als schlechte Gegend?

Barbara Tharra: Wesentlich schlechter als Neukölln. Es waren hier wesentlich mehr Ausländer. Und die Wohnungen waren in einem Zustand, dass sie kaum jemand haben wollte. Jetzt ist es andersrum.

Wie alt waren Sie damals?

Barbara Tharra: Ich bin 1943 geboren, also 24.

Wolfgang Tharra: Ich war zwei Jahre älter.

Das war auch die Zeit der Studentenbewegung.

Wolfgang Tharra: Benno Ohnesorg, das ist ja auch hier in der Gegend passiert.

Barbara Tharra: Nee, das war nicht hier. Damals gab es aber viel Studentenkrawalle. Die sind nicht immer fein behandelt worden von der Polizei. Manche sind auch über den Friedhof hier gejagt worden.

Was haben Sie gedacht, als hier in der Ecke in den achtziger Jahren die ersten Häuser besetzt wurden?

Wolfgang Tharra: Mit einigen Besetzern haben wir uns unterhalten. Damals gab es auch schon die Spekulation mit Häusern. Manchmal denke ich, da hat sich überhaupt nichts verändert. Auch heute wollen die Eigentümer die Mieter rausekeln, indem sie ihnen den Strom abstellen …

Barbara Tharra: … oder anfangen, im Winter das Dach neu zu decken.

Wolfgang Tharra: Bei den Besichtigungen habe ich mich mit Interessenten unterhalten, die bei uns bieten wollten. 7,1 Millionen Euro ist das Mindestgebot für die vier Häuser bei uns an der Ecke Großgörschen- und Katzbachstraße. Einer hat mir gesagt, er wäre bereit, 10 Millionen zu zahlen. Dann steht natürlich Luxussanierung an. Zumal die ganze Gegend hier aufgewertet wurde.

Wann hat das bei Ihnen angefangen mit der Aufwertung?

Barbara Tharra: Die Besetzer haben keine Rolle gespielt. Nach denen kamen erst mal die Migranten. Die waren dann zahlenmäßig schnell sehr viel mehr als die ältere Bevölkerung, die vorher hier gewohnt hat.

Hat das funktioniert?

Barbara Tharra: Das hat eine Weile gedauert, aber dann hat es sehr gut funktioniert.

Auch die Drogenszene war sehr stark.

Barbara Tharra: Damals wurde die Gegend observiert. Ich habe erlebt, wie einer auf der Straße festgehalten wurde. Ich habe gerufen, ich hole die Polizei, da hat der eine geantwortet: Schon da, das sind wir. Das waren Zivilbeamte. Vor zehn Jahren hat das mit der Aufwertung angefangen. Nach dem Fall der Mauer war ja auch klar, dass es hier keine Autobahn geben wird.

Erst war es eine schwierige Gegend, nun ist die Aufwertung da. Gab es denn auch ein paar Jahre, in denen Sie sich hier einfach nur wohlgefühlt haben?

Barbara Tharra: Die letzten Jahre haben wir uns sehr wohlgefühlt. Die Aufwertung ist ja nicht nur schlecht. Die Häuser wurden verputzt. Die neuen Leute, die gekommen sind, sind nett. Wir haben jetzt eine richtig tolle Mischung. Fahren Sie mal an der Robert-Blum-Schule vorbei. Die Hälfte der Schüler sind Migrantenkinder, die Abitur machen.

Wolfgang Tharra: Die türkische Familie über uns hat vier Kinder, die haben alle studiert. Wenn die im Sommer in der Türkei sind, gießen wir ihre Blumen. Und umgekehrt. Die fühlen sich hier, auf Deutsch gesagt, sauwohl.

Barbara Tharra: Wir mussten alle etwas lernen. Wir vielleicht, dass wir nicht mehr so penibel sind. Und die haben gemerkt, dass Bildung auch was bringen kann. Manche sind aber auch von hier weggezogen, als die Mauer gefallen war.

Haben Sie selbst nie darüber nachgedacht? Als die Mauer weg war, hätten Sie ja auch ins Umland ziehen können.

Barbara Tharra: Wir sind Innenstadtmenschen.

Wolfgang Tharra: Nach der Öffnung der Grenze kamen bald die Bonner. Weil das bei uns Bundeswohnungen sind, wurden die denen auch angeboten. Aber die haben dankend abgelehnt, Ofenheizung wollten die nicht.

Barbara Tharra: Das wäre heute vielleicht anders. Berlin ist ja jetzt richtig angesagt.

Gefällt Ihnen das, diese neue Attraktivität Berlins? Oder macht sie Ihnen auch Angst?

Barbara Tharra: Fuffzig, fuffzig. Als Berlin ein Dorf war, war es auch schön.

Würden Sie das Dorf gerne zurückhaben wollen?

Barbara Tharra: Eigentlich nicht. Auch nicht die Grenzen. Es ist wunderbar, dass das jetzt ein Land ist und dass wir das Umland haben. Viele unserer Freunde sind während der Mauerzeit weggezogen. Aber wir sind Berliner Kinder und geblieben. Wir haben schon auf dem Trümmerberg gespielt und uns gefreut, als die Amis ihre Zuckerbonbons abgeworfen haben. Zur Zeit der Luftbrücke. Später wurde aus dem Trümmerberg ein Park.

Und dann hatten Sie eines Tages den Brief im Kasten, in dem es hieß, dass Ihr Haus verkauft werden soll.

Wolfgang Tharra: Zwei Tage bevor es die ersten Besichtigungen gab, bekamen wir Bescheid.

Man hat Ihnen Ihre Wohnung gar nicht selber zum Kauf angeboten?

Wolfgang Tharra: Ich kann Ihnen das zeigen. Hier steht es: Sehr geehrte Mieterin, sehr geehrter Mieter, ich möchte Sie darüber informieren, dass ich die Veräußerung der oben genannten Wohnliegenschaften im Rahmen eines öffentlichen Bieterverfahrens beabsichtige. Das Verfahren beginnt am 23. Mai. Und am 21. Mai ist der Brief bei uns eingegangen. Und dann heißt es: Ein Verkauf einzelner Wohnungen an Mieter oder Dritte ist nicht vorgesehen. So ging das los.

Und daraufhin haben Sie Ihre Bürgerinitiative gegründet.

Wolfgang Tharra: Wir sind der Interessengemeinschaft GroKa beigetreten, die schon im vergangenen Dezember gegründet wurde. „GroKa“ steht für Großgörschen- und Katzlerstraße. Der erste Besichtigungstermin war dann am 27. Mai. Da hat uns ein Herr Meyer von der Bima geschrieben: Ich komme zurück auf den Besichtigungstermin am 27. Mai, der sowohl von den Mietern sehr emotional als auch für die Seite des Vermieters sehr unangenehm verlief.

Also hatten Sie Erfolg?

Wolfgang Tharra: Kann man so sehen.

Barbara Tharra: Dafür machen sie es jetzt heimlich mit den Besichtigungen.

Was steht auf Ihrem Transparent?

Barbara Tharra: Auch wir Rentner wollen bleiben.

Was zahlen Sie derzeit an Miete?

Wolfgang Tharra: Der Durchschnitt in den vier Häusern beträgt etwa 6 Euro pro Quadratmeter. Wir zahlen etwas weniger.

Barbara Tharra: Wir würden auch mehr bezahlen. Aber wir würden nicht so viel bezahlen, dass wir deshalb ausziehen müssten.

Wolfgang Tharra: Die Wohnungen in den anderen Häusern wurden saniert. Bei uns wurde nichts gemacht. Wir hatten noch Ofenheizung. Die haben wir dann auf eigene Kosten durch eine Gasetagenheizung ersetzt.

Barbara Tharra: Aber das zählt für die nicht. Grade jetzt, wo es so schön ist hier, gibt es diese Drohung. Das habe ich der Kanzlerin auch geschrieben. Dass sie doch immer für Integration sei. Das hier ist ein Stück Integration in Berlin. Und das steht nun auf dem Spiel.

In dieser aufreibenden Zeit haben Sie doch bestimmt Ihre Nachbarn noch mal ganz neu kennengelernt.

Wolfgang Tharra: Das war auch eine positive Erfahrung, das muss ich schon mal sagen. Wir haben uns oft zusammengesetzt. Jeder hat seine eigenen Ideen eingebracht. Wir würde es gerne haben, dass die Häuser an eine seriöse Wohnungsbaugesellschaft oder Genossenschaft verkauft werden.

Ihre Interessengemeinschaft GroKa hat Ende Juli auch auch ein Angebot bei der Bima abgegeben, zusammen mit der Genossenschaft Bremer Höhe.

Wolfgang Tharra: Wir haben ein Angebot über 4,8 Millionen Euro eingereicht. Dazu gehört auch, dass wir uns bereit erklären, in den nächsten zwei Jahren 25 Prozent mehr Miete zu zahlen. Auch danach soll sie moderat steigen. Erst nach neun Jahren soll die Miete dann wieder zurückgehen. Bei anderen Genossenschaften ist das viel früher. Wir kommen der Bima also entgegen.

Rechnen Sie sich Chancen aus?

„Meine Erfahrung mit der Politik: Die tun nur was für die Bürger, wenn sie Karriere machen“

Barbara Tharra: Zuversichtlich bin ich nicht. Aber vielleicht gibt es doch noch eine bürgernahe Entscheidung.

Haben Sie noch Hoffnung auf die Politik?

Wolfgang Tharra: Das ist eine gute Frage. Wir haben in der Öffentlichkeit viel erreicht.

Barbara Tharra: Aber was hat es genutzt?

Wolfgang Tharra: Wir waren bei den Linken, bei den Grünen, haben einen Kiezspaziergang gemacht, bei dem auch SPD-Politiker da waren. Selbst ein CDU-Bundestagsabgeordneter aus Berlin wollte sich für uns einsetzen. Gehört haben wir von ihm nichts mehr.

Barbara Tharra: Meine Erfahrung mit der Politik – besonders mit den beiden Regierungsparteien – ist die: Die tun nur was für die Bürger, wenn sie Karriere machen. Ansonsten sind ihnen die Bürger wurscht. Da wird ein Moratorium für einen weiteren Verkauf von Häusern durch die Bima abgelehnt, nur weil es die Opposition eingereicht hat. An den Bürger denkt keiner. Alles nur Parteipolitik. Das ist eine Schweinerei.

Was haben Sie früher gearbeitet, Frau Tharra?

Barbara Tharra: Ich war Verkäuferin. In einem Reformhaus an der Blissestraße. Da habe ich 25 Jahre gearbeitet. Als ich die Kinder bekommen hab, nur noch halbtags. Wir wollten mit den Kindern Berlin genießen.

Wie viele Kinder haben Sie?

Barbara Tharra: Zwei. Der Junge ist seit 20 Jahren aus dem Haus, die Tochter sei 25. Aber dann haben wir meine Mutter und seine Mutter versorgen müssen. Seitdem die tot sind, wollten wir die Dreizimmerwohnung allein genießen, und nun ist die gefährdet.

Wolfgang Tharra: Unsere Enkelkinder sind auch schon groß, der Älteste ist schon 16 und steht vor dem Abitur. Sie wollen auch in Berlin studieren. Da hatten wir auch geplant, den Enkel hier unterzubringen.

Barbara Tharra: Wir waren auch schon in Marzahn. Aber wohnen wollen wir dort nicht.

Haben Sie Angst, dorthin verdrängt zu werden?

Barbara Tharra: Gedanken macht man sich schon. Wenn es wirklich so kommt, wo geht es denn dann hin? Das ist schon eine Angst. Die wird auch größer, je älter man wird. Wenn man jünger ist, zieht man leichter um.

Wolfgang Tharra: Wir haben ja auch all unsere Bekannten hier, die Nachbarschaft.

Und Sie haben den Park am Gleisdreieck. Hat der etwas mit der Aufwertung zu tun?

Barbara Tharra: Ja. Da gibt es viele, die wollen hier aus der Gegend ein zweites Mitte machen. So steht es ja auch im Verkaufsprospekt der Bima. Für die Touris ist die Bergmannstraße erwähnt, und dann wird der Park erwähnt. Am Anfang waren wir positiv überrascht, dass da die Bewohnergärten bleiben durften. Aber dahinter werden ja fast nur Eigentumswohnungen gebaut. Der Normalberliner kann sich das nicht leisten.

Wenn Sie in die Zukunft schauen, was würden Sie sich als Erstes wünschen?

Wolfgang Tharra: Das alles bleibt, wie es ist.

Barbara Tharra: Dass die Mieten nur so weit steigen, dass man auch als Normalbürger hier bleiben kann.

Und wenn es doch anders kommt?

Barbara Tharra: Dann werden wir radikaler.

Wie?

Barbara Tharra (lacht): Das werde ich Ihnen nicht verraten.