Kita-Pflicht für die Versager

FORDERN Ab kommendem Kitajahr müssen Kinder mit schlechten Deutschkenntnissen zwangsweise in die Kita. Andere Wege, Kinder früher in die Kita zu bringen, werden dagegen nur halbherzig beschritten

Bislang war Kita eine freiwillige Veranstaltung. Das hat sich geändert: Ab kommendem Kitajahr müssen Kinder mit Sprachdefiziten in eine Einrichtung gehen – sonst droht den Eltern ein Bußgeld. Kritiker wie Regina Kittler, bildungspolitische Sprecherin der Linkspartei, bezweifeln, dass das etwas bringt: „Das trifft vor allem Menschen, die nichts haben und mit dem Leben ohnehin kaum zurechtkommen.“

Seit Jahren zeigen die mit dem Berliner Bildungsprogramm eingeführten obligatorischen Sprachtests, dass viereinhalbjährige Kita-Kinder deutlich besser Deutsch sprechen und verstehen als Nicht-Kita-Kinder. Letztere Gruppe ist aber in Berlin recht klein: Nur etwa 7 Prozent der Viereinhalbjährigen gehen nicht in eine Tageseinrichtung, 2013 waren das gut 2.200. Von ihnen wurden 712 getestet, knapp 400 hatten einen Sprachförderbedarf. Zwei Drittel erschienen nicht zum Test.

Für sie verschärfte Rot-Schwarz im März das Gesetz. Eltern, die ihr Kind nicht zum Deutschtest schicken oder zu den Förderstunden, die dann bei Bedarf angeordnet werden, müssen nun ein Bußgeld von bis zu 2.500 Euro zahlen. Zudem wird die Zahl der Förderstunden erhöht: Bislang bekamen Kinder mit Deutschdefiziten täglich drei Stunden Sprachförderung, künftig sind es fünf. Wobei die Sprachförderung vor allem darin besteht, dass die Kinder am normalen Kitaalltag teilnehmen.

Für die Opposition ist das Bußgeld schlicht die „Einführung der Kita-Pflicht durch die Hintertür“, wie Regina Kittler und der Piraten-Abgeordnete Martin Delius kritisieren. Der Senat leugnet dies aus gutem Grund – ist doch das Elternrecht auf Erziehung per Grundgesetz geschützt und einzig die Schulpflicht davon ausgenommen. Konsequenterweise ist die Pflicht zur Sprachförderung daher im Schulgesetz, nicht im Kindertagesförderungsgesetz festgeschrieben. Es handelt sich also weniger um eine Kitapflicht durch die Hintertür als um eine vorgezogene Schulpflicht für einige wenige.

Unwissen statt böser Wille

Dass diese etwas bringen wird, darf bezweifelt werden. Aus den Kitas hört man, es sei zumeist kein böser Wille, sondern Unwissenheit, wenn Eltern ihre Kinder nicht zum Deutschtest schicken. Die meisten Kinder, die erst nach dem Sprachtest in die Kita kämen, seien Neueinwanderer aus Rumänien und Bulgarien, erzählt die Leiterin der AWO-Kita Sternschnuppe, Valerie Fischer-Weituschat. „Die kennen sich hier noch gar nicht aus und verstehen auch den Einladungsbrief zum Sprachtest gar nicht“, so ihre Erfahrung. Wenn solche Eltern von den Möglichkeiten für ihre Kinder erführen, „sind sie immer total froh“.

Zudem reichen auch eineinhalb Jahre Sprachförderung beziehungsweise Kita-Besuch nicht für Kinder mit Entwicklungsdefiziten, wie die Sprachstandserhebungen zeigen: Erst nach mehr als zwei Jahren bessern sich die Deutschkenntnisse merklich. Das aber heißt, dass die Kinder spätestens mit zwei Jahren in die Kita kommen müssten – denn mit fünf Jahren wird heute in der Regel eingeschult.

Allerdings gehen gerade die Kinder am kürzesten in die Kita, die es am nötigsten haben, wie die Einschulungsstatistik zeigt: Zwar werden in Berlin nur 2 Prozent der Kinder gar nicht in die Kita geschickt, aber tendenziell bringt die „Unterschicht“ ihre Kinder eher später, ebenso arabische und osteuropäische Familien. Nur die türkischen Familien haben fast so eine gute Kitaquote wie die Deutschen – also die Gruppe von Migranten, die am längsten hier lebt und das deutsche Bildungssystem am besten kennt.

Wie aber bekommt man mehr sozial schwache und Kinder nichtdeutscher Herkunft in die Kita? Wie die Leiterin der AWO-Kita sieht das Berliner Kita-Bündnis das Problem vor allem in mangelnder Information – und fordert seit Jahren ein „Willkommenspaket zum ersten Geburtstag“, das über alles rund um Kita und Tagespflege informiert. So dürfte es zum Beispiel sogenannten bildungsfernen Familien oft gar nicht bekannt sein, dass es seit vorigem August einen Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz schon für Einjährige gibt. Doch Elterninformationen in diesem frühen Stadium gibt es nicht. Was es gibt, ist ein Anschreiben an alle Eltern von Dreijährigen, die ihre Kinder nicht zur Kita geben.

Eine andere Zugangshürde sieht man beim Kita-Bündnis in dem bürokratischen Akt, der nötig ist, um überhaupt einen Kita-Gutschein zu bekommen. Für manche Eltern sei dies schon zu kompliziert, sagt etwa Martin Hoyer, Kita-Experte vom Paritätischen.

Monster Bedarfsprüfung

Hier sieht auch Rot-Schwarz Handlungsbedarf – allerdings nur teilweise. So soll zum Ende der Legislaturperiode 2016 die komplizierte Bedarfsprüfung für einen Ganztagsplatz fallen – aber nur für Kinder ab drei Jahren. Bislang muss, wer einen Ganztagsplatz will, nachweisen, wann und wie viel er arbeitet – der gesetzliche Anspruch auf einen Platz gilt nur für fünf bis sieben Stunden. Dieses „bürokratisches Monster“ Bedarfsprüfung sollte man komplett abschaffen und einfach jedem Kind einen Gutschein geben, forderte kürzlich die Linkspartei-Abgeordnete Katrin Möller im Abgeordnetenhaus.

Das aber ist Rot-Schwarz zu teuer. Schon jetzt gibt der Senat 18 Millionen Euro in zwei Jahren Doppelhaushalt aus, um neue Plätze zu schaffen – und es reicht immer noch nicht. In manchen sozial schwachen Gebieten wie Nordneukölln gibt es noch immer nicht genug Kitaplätze – ein weiterer Grund, warum nicht alle Eltern ihre Kinder früh in eine Einrichtung geben. Würde man in dieser Situation allen Null- bis Dreijährigen einen Ganztagsplatz anbieten, wäre das zwar bildungspolitisch erwünscht, würde aber enorme weitere Ausbauanstrengungen erfordern. Und wie sagte der CDU-Abgeordnete Roman Simon so treffend, als er den Linkspartei-Vorschlag im Parlament abbügelte? „Wir halten das möglichst kostenneutral.“ SUSANNE MEMARNIA