OFF-KINO
: Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet

90.079 Fische, 74.472 Quallen und 111.998 Aquariumssteinchen sollen angeblich für Pixars Computeranimationsfilm „Finding Nemo“ (2003) einprogrammiert worden sein. Damals war der Film von Andrew Stanton und Lee Unkrich, der in fast jeder Szene unter Wasser spielt, eine Sensation, denn die Animation von Wasser ist – unter anderem aufgrund der Lichtbrechung – eine der schwierigsten Aufgaben im Metier des Trickfilms. Und hier gab es plötzlich lauter verschiedene faszinierende Unterwasserwelten: das bunte Korallenriff mit den Seeanemonen, in dem der Clownfisch Nemo und sein Vaters Marlin zu Hause sind, den „Wald“ ebenso schöner wie gefährlicher Quallen, und natürlich die Pseudoexotik des Aquariums in einer Zahnarztpraxis in Sydney, wo Nemo in Gefangenschaft gerät. Inhaltlich wandelt der Film die Disney-Standardformel vom allein erziehenden Vater und seinem scheinbar aus der Art geschlagenen Sohn leicht ab: Nicht der Sprössling muss hier dem Vater beweisen, dass er den Anforderungen seines Erzeugers doch gerecht werden kann, sondern der überängstliche Marlin erlangt den Respekt seines Sohnes, indem er auf der Suche nach Nemo den offenen Ozean durchquert – während er sich zuvor noch nie aus seinem Korallenriff herausgetraut hatte. Action, Humor und Drama halten sich dabei geschickt die Waage: Die Szene, in der Nemo schließlich die Flucht aus der Zahnarztpraxis gelingt, ist eine völlig absurde und makabre Slapsticknummer, in der es zugleich ganz todernst um sein Leben geht – nicht umsonst ist die zahnspangenstarrende Zahnarztnichte Darla, eine berüchtigte „Fischkillerin“, zuvor mit Bernard Herrmanns Musik zum legendären Duschmord in Alfred Hitchcocks „Psycho“ charakterisiert worden. (18. 4. Filmmuseum Potsdam)

Da gelingt auch gleich die elegante Überleitung zur Tonkulisse von Hitchcocks Horrorfilm „The Birds“, die bekanntlich von dem gebürtigen Thüringer Komponisten und Musiker Oskar Sala am Mixturtrautonium geschaffen wurde, einem elektroakustischen Instrument, dessen erste Version der Hindemith-Schüler Sala bereits in den frühen 1930er Jahren gemeinsam mit dem Ingenieur Friedrich Trautwein entwickelt hatte. Die Vogelschreie, die in „The Birds“ die Nerven von Melanie (Tippi Hedren) und Mitch (Rod Taylor) nachhaltig strapazieren, sind ein Erzeugnis dieses recht exotischen Instruments, dessen (Mit-)Erfinder heute zu Recht als einer der großen Pioniere der elektronischen Musik gefeiert wird. „Die Vögel“ ist das bekannteste, aber längst nicht einzige Beispiel für Salas Arbeit an Filmmusiken: Wer mehr über den Künstler erfahren möchte, ist deshalb beim Musik-Film-Marathon im Kino im Martin-Gropius-Bau gut aufgehoben, wo neben Hitchcocks Horror-Meisterstück auch zwei Dokus über Sala laufen, die in dessen Leben und Werk einen Einblick bieten und von den jeweiligen Filmemachern eingeführt werden. (The Birds 14. 4., Oskar Sala – Die vergangene Zukunft des Klanges 14. 4., Oskar Sala – Ein Alchemist der elektronischen Musik 15. 4. Martin-Gropius-Bau) LARS PENNING