13 Stunden der Zauber des Als-ob

WELTPREMIERE 1971 drehte Jacques Rivette den 13-Stunden-Film „Out 1“. Nun kommt das legendäre, seit 40 Jahren fast unsichtbare Werk auf DVD – und läuft am Wochenende in der Brotfabrik

13 Stunden Kino: Wer sich auf „Out 1“ einlässt, bekommt nicht weniger als eine Welt

VON EKKEHARD KNÖRER

Lange Jahre war „Out 1“ nur ein Gerücht. Der Film war nach dem Dreh 1971 nie ins Kino oder ins Fernsehen gelangt, ja, es gab nicht einmal einen fertigen Schnitt und nur die einmalige Aufführung einer Arbeitskopie. Bis heute lassen sich die Vorführungen des 1990 dann von Jacques Rivette doch noch fertiggestellten Films an wenigen Händen abzählen, eine vierstündige Kurzfassung (Titel: „Spectre“) sah man öfter – in Berlin hat das Arsenal die 13-Stunden-Fassung in den letzten zwanzig Jahren aber nur zweimal gezeigt.

Jetzt wird das alles anders. Das kleine, aber immer schon großartige Berliner DVD-Label absolutmedien bringt „Out 1“ in einer DVD-Box heraus: eine Weltpremiere, darauf hat manch einer seit Jahrzehnten mit einiger Inbrunst gehofft. Leider stammt die Vorlage der DVD nur von einer WDR-Magnetbandaufzeichnung, was sich etwas merkwürdig anfühlt: eine Ausgrabung, die nicht die Anmutung des ursprünglichen, heute freilich auch schon anachronistischen 16-mm-Filmmaterials hat, sondern die analoger Fernsehgeschichte. Diese Version (leider nicht die 16-mm-Kopie) zeigt das Kino Brotfabrik anlässlich der DVD-Veröffentlichung an diesem Wochenende – in voller Länge, aber aufgeteilt auf zwei Teile Samstag und Sonntag.

„Out 1“ ist ein Werk, wie die Filmgeschichte sonst keines kennt, es ist darum ein großes Glück, dass es jetzt für die Stadt und den Erdkreis greifbar sein wird. 13 Stunden klingt furchtbar lang, aber man kann den Film durchaus als Fernsehserie in acht Episoden betrachten – Rivette hoffte einst in der Tat, ihn ans französische Fernsehen zu verkaufen. Dafür war er aber zu kühn und zu eigenwillig und zu wenig stringent, erzählt zu viel nebeneinander und legt zu wenig Wert auf gut sortierte Plots, auf klassische Spannungsdramaturgie oder Figurenpsychologie.

Was aber viel zu negativ klingt: In Wahrheit bekommt, wer sich einlässt, nicht weniger als eine Welt. Zwei kleine, nicht professionelle Theatertruppen stehen im Zentrum des Films, beide proben sie Stücke von Aischylos ein. Ihnen folgt die Kamera in langen Sequenzen, oft ohne Schnitt, beim Proben, beim Diskutieren, im Raum des Theaters, aber auch draußen. Klingt ein wenig nach der Farbe beim Trocknen zusehen, ist aber sehr faszinierend. Zum einen, weil man sich einschwingt auf die von den Szenen vorgegebenen Rhythmen. Und zum anderen geht es gar nicht nur oder auch gar nicht eigentlich ums Theater, sondern mindestens ebenso sehr um die Frage, was es heißt, sich mit dem ganzen Einsatz der Person für ein gemeinsames Gruppenprojekt zu engagieren.

Oder anders: Die Menschen, die sich hier im Paris der frühen siebziger Jahre verbinden und lösen, zu Gruppen finden und sich wieder verlieren, eine Zeitschrift machen wollen oder Theater, sind auf der Suche nach einer Form für ihr Leben, die eine Trennung zwischen Ernst und Spiel, aber auch zwischen Arbeit und Freizeit nicht zulässt. Sie lieben und betrügen und spielen, es geht vor und zurück, es gibt Solidarität und gemeinsames Tun, Streit und Zerwürfnis. Worum es geht: Kunst als Leben, Leben als Kunst, miteinander etwas entwickeln, als Lebenskunst. Dazwischen und daneben bewegen sich als lose Fäden zwei Drifterfiguren durch Paris: Colin, von der Nouvelle-Vague-Ikone Jean-Pierre Léaud gespielt. Erst tut er taubstumm, dann redet er und kommt einem Geheimbund auf die Spur. Und Frédérique (Juliet Berto), eine Diebin mit Hang zum Räuber-und-Gendarm-Spiel, die an Briefe gelangt, die ebenfalls auf den Geheimbund verweisen. In dessen Zentrum steht eine mysteriöse Figur namens Pierre, die im Film oft genannt wird, aber nie auftaucht. Wie so vieles hat der Geheimbund den Charakter des Als-Ob: Andeutung einer Verschwörung, eines Zusammenhangs, auch hier bleibt vieles Schein, Andeutung und Spiel mit Ungewissheit. Auf Dauer stellen lässt sich der Seinszustand des Als-ob allerdings nicht. Darum endet „Out 1“ als melancholischer Abgesang auf schöne Hoffnungen für die Kunst und das Leben.

■ Out 1: Brotfabrik-Kino, Caligariplatz 1, 18./19. 5. ab 16 Uhr