Brodeln unter der Oberfläche

DOKUMENTARKINO Gerd Kroskes „Hamburg-Trilogie“ widmet sich drei verschiedenen beschädigten Prä-68er-Biografien, die durch Krieg und Faschismus geprägt waren

Was ich an Gerd Kroske sehr schätze, ist, dass er in seinen Filmen präsent ist

VON DETLEF KUHLBRODT

Anlässlich des Erscheinens einer DVD-Box mit zwölf Filmen des Dokumentaristen Gerd Kroske (bei absolut Medien), zeigt das Arsenal seine zwischen 1999 und 2012 entstandene „Hamburg-Trilogie“, die mit dem „Boxprinz“ beginnt; einem Porträt des Schwergewichtsboxers Norbert Grupe alias „Prinz von Homburg“, der für seinen eher catchermäßigen Boxstil und seine Verwicklung in das Halbweltmilieu von St. Pauli bekannt und durch einen Auftritt, 1969, im „Aktuellen Sportstudio“ zur Legende geworden war, bei dem er jede Frage des Reporters mit Schweigen beantwortet hatte.

„Ich wollte tatsächlich mal in meinem wahnsinnigen Glauben Weltmeister werden“, sagt Grupe. „Das geht nur, wenn du richtig trainierst, abstinent lebst, nicht säufst, nicht fickst, nicht trinkst.“ Das tat er nicht. Es gab viele Skandale. Irgendwann wechselte der Dandy und begnadete Selbstdarsteller in die Schauspielerei und ging nach Amerika, wo Kroske ihn aufgabelte. Sein Film ist „ein nostalgischer Rückblick auf eine Zeit, als Boxen und Halbwelt noch untrennbar zusammengehörten“ (Spiegel).

Über Grupe, der im 2004 in Mexiko starb, kam Gerd Kroske zu Wolli Köhler, mit dem der Boxer eng befreundet war. Der aus Sachsen stammende ehemalige Bordellbesitzer wurde in den siebziger Jahren in Büchern von Hubert Fichte und Wolf Wondratschek verewigt. „Wollis Paradies“ ist ein ausschließlich in der Hamburger Vorortwohnung seines damals 73-jährigen Helden gedrehtes Kammerspiel und erzählt einen Tag, der irgendwann auf dem schwarzen Ledersofa beginnt, um in der blauen Morgendämmerung zu enden.

Im seidenen Morgenmantel sitzt Wolli auf dem Sofa und erzählt; wie er in der Nachkriegszeit im Bergbau arbeitete, wie er nach Hamburg kam, wo er sich mit verschiedenen Jobs auf St. Pauli durchschlug. Wie er in den Sechzigern, als Pornografie noch illegal war, Pornofilmchen in Reifen schmuggelte, ein illegales Pornokino betrieb, Captagon für die Drogenfreunde vertickte, schließlich Zuhälter wurde, ein Bordell eröffnete; wie er selbst auch Sex mit Freiern hatte, weil man von einer Frau nicht verlangen dürfe, was man nicht auch selbst zu geben bereit sei.

Manchmal trägt er selbst geschriebene Rebellenlyrik vor. Seine Frau Linda berichtet, wie sie sich kennenlernten. Man sieht Wolli in der Badewanne, als begabten Zeichner kleinteiliger, oft erotischer Collagen in seinem Arbeitszimmer.

Auf die Frage Hubert Fichtes, was er am liebsten mache, antwortet Wolli: „Am liebsten mag ich Haschisch rauchen, Liebe und Musik hören.“ Mit leuchtenden Augen berichtet der begnadete Selbstdarsteller von Vollmondpartys auf Goa. Und wie er dort einmal zwei Monate lang nicht masturbiert und während seines Zölibats zu leuchten angefangen hätte.

Im großartigen letzten Teil seiner Trilogie „Heino Jaeger – look before you kuck“ (2012) porträtiert bzw. rekonstruiert Kroske in Gesprächen und mit viel Archivmaterial den Maler, Kabarettisten und in den 70er Jahren gefeierten Radiostar Heino Jaeger, der seine letzten Lebensjahre in der Psychiatrie verbrachte. Auch Jaeger gehört zur Kriegskindergeneration, scheint aber stärker noch als die anderen beiden Helden traumatisiert zu sein. Mit seiner öffentlichen Rolle kam er nicht zurecht und er trank viel zu viel.

In Tonbändern und alten Filmen entsteht das Bild eines beschädigten, autoaggressiven großartigen Künstlers (er malte) und Komikers, der es in seiner Rolle als Telefonseelsorger Dr. Jaeger nicht nötig hat, seine Witze zu betonen. Er kitzelt den verdrängten Faschismus, der in allem noch schlummerte, heraus; der Optimismus der 68er geht ihm dabei völlig ab. Er und seine Freunde verstanden sich als „Anti-68er“.

Mittlerweile ist es ja leider gängig, als Dokumentarfilmer so zu tun, als sei man nicht da, also die Inszenierung und das persönliche Interesse völlig zu verleugnen. Was ich an Gerd Kroske sehr schätze, ist, dass er in seinen Filmen präsent ist, mit einer nicht geglätteten, manchmal schon fast sozialarbeitermäßig klingenden Stimme, und sich gleichzeitig stets zurücknimmt.

Man hat das Gefühl, dass Kroske froh war, dass es ihn, nach so langer Beschäftigung mit der Nachwendezeit, nach Hamburg verschlug. Und dass ihn in Hamburg dann gerade diese beschädigten Prä-68er-Biografien so faszinierten, weil sie durch das verdrängte Davor, Krieg und Faschismus, geprägt waren; weil sie von einem noch nicht durch die 68er ja auch befriedeten Westdeutschland erzählen, unter dessen hübscher Oberfläche es noch gewaltig brodelte.

■ Gerd Kroskes „Hamburg-Trilogie“: Arsenal, 12. und 13.9.; Einzelheiten zum Programm unter www.arsenal-berlin.de