Okkulte Messe der Politik

NACHKRIEGSKINO Mit einer Retrospektive würdigt das Arsenal den Regisseur Elio Petri, einen zu Unrecht vergessenen Intellektuellen des italienischen Films

Petri gehört zu einer Gegenöffentlichkeit, die das Kino als Instrument der linken Aufklärung begriff

VON ANDREAS BUSCHE

Die Autofahrt durch Rom zu Beginn von Elio Petris „Todo Modo“ gewährt einen pointierten Eindruck vom Ausmaß des gesellschaftlichen Ausnahmezustandes, der Italien Mitte der siebziger Jahre erfasst hatte. Die Straßen sind gesäumt von bewaffneten Polizisten und Ärzten, ein Bild wie aus einem dystopischen Science-Fiction-Film. Der Regisseur überzeichnet die Wirklichkeit aber gerade so weit, dass durch die Fiktion noch eine Kritik an den realen Verhältnissen – mitsamt ihres deutlich identifizierbaren Personals – durchscheint. In „Todo Modo“ (1976) wird Italien von einer tödlichen Epidemie heimgesucht; realiter hatte sich das Land gerade in eine handfeste Regierungskrise manövriert. Ein wackeliges Bündnis aus Christdemokraten unter Ministerpräsident Aldo Moro und Parteien des linken Spektrums sollte die Demokratie gegenüber neu erstarkten totalitären Kräften festigen.

„Todo Modo“ entstand an einem Kulminationspunkt der italienischen Nachkriegsgeschichte. Zusammen mit Pasolinis „Salò“ bildete der Film aber auch eine unversöhnliche Klammer um das italienische Kino der siebziger Jahre. Während Pasolini sich für seine politische Allegorie noch in der Geschichte (und der Literatur) bediente, sparte Petri nicht mit aktuellen Bezügen. Die Eröffnungsfahrt endet an einem unterirdischen Hochsicherheitsbunker, in dem sich einmal im Jahr die italienischen Eliten zu einem spirituellen Konvent versammeln. Petri macht sehr schnell deutlich, welchen Charakter dieses Geheimtreffen tatsächlich hat: Unter den Argusaugen der Kirche werden die Machtverhältnisse neu sondiert und Zweckbündnisse ausgehandelt. Inszeniert ist diese politische Praxis als okkulte Messe, die Petri schließlich nach den Regeln des Giallo-Genres auflöst. Während die Situation auf den Straßen eskaliert, fordern auch die Machtkämpfe im Bunker (politische) Opfer.

„Todo Modo“ ist die schönste Wiederentdeckung einer kleinen Retrospektive, die das Kino Arsenal im November einem zu Unrecht vergessenen Intellektuellen des italienischen Nachkriegskinos widmet. Elio Petri gehört neben Francesco Rosi, Damiano Damiani und Marco Bellocchio zu einer informellen Gegenöffentlichkeit, die in den sechziger und siebziger Jahren das Kino als populäres Instrument der linken Aufklärung begriff. Bei Petri vollzieht sich wie im politischen Kino Fassbinders die Mobilisierung über das Individuum. In der tragikomischen Farce „Die Arbeiterklasse geht ins Paradies“ (1971) ist es ein übereifriger Vorarbeiter (Petri-Stammkraft Gian Maria Volonté), der nach einem Arbeitsunfall das kapitalistische Ausbeutungssystem durchschaut und sich zum Streikführer aufschwingt. In „Zwei Särge auf Bestellung“ (1967) ist es wieder Volonté als junger Universitätsprofessor, der nach einem Doppelmord in seinem sizilianischen Dorf eigenhändig Recherchen anstellt und dabei einem Komplott auf die Spur kommt, das sein liberales Vorstellungsvermögen übersteigt.

Petris berühmtester Film „Ermittlungen gegen einen über jeden Verdacht erhabenen Bürger“ (1970), mit den er den Oscar gewann, gibt allerdings schon Aufschluss darüber, dass sich sein Gesellschaftsbild mit Anbruch der neuen Dekade drastisch gewandelt hatte. Hier spielt Volonté mit Eisesmiene den ehemaligen Leiter des Morddezernats, der das System auf seine Weise auf die Probe stellt: Kann ein Mensch von seiner gesellschaftlichen Stellung einen Mord begehen, ohne für die Tat belangt zu werden? Die italienische Kritik nahm Petri diese unverhohlene Faschismus-Parabel seinerzeit krumm. Mit „Ermittlungen“ schlich sich ein bis dahin ungeahnter Pessimismus in seine Siebziger-Jahre-Arbeiten ein, der mit der ätzenden Mediensatire „Good News“ (1979) ein abruptes Ende fand. 1982 starb Petri überraschend und hinterließ ein relativ überschaubares und vor allem unvollendetes Werk.

Über der Retrospektive liegt damit auch die unausgesprochene Frage, wo Petri sich im aktuellen italienischen Kino zwischen Regisseuren wie Nanni Moretti, Paolo Sorrentino und Marco Bellocchio, dem letzten Überlebenden der jungen Aufrührer, politisch positionieren würde. In den fünfziger Jahren schrieb Petri über das italienische Kino: „Die Realität ist beweglicher als jede Theorie, die auf aktuellen Ereignissen oder einer sozialen Norm fußt. Theorie wird erst offiziell, wenn sie eine Triebkraft besitzt oder die Tiefe einer historischen Perspektive.“ In den kommenden Wochen kann man sich im Arsenal von der Beweglichkeit dieses Kino überzeugen.

■ Elio Petri – Aufzeichnungen eines Unbequemen: Arsenal, Potsdamer Str. 2, 6.–21. 11., Programm: www.arsenal-berlin.de