Die Berliner Grenze wurde überschritten

FESTIVAL Einfach auf Krawall losgedreht: Filme, die nach dem eigenen Leben aussehen. Da ist nicht immer alles im Fluss, aber auf der Flucht

Freie und unabhängige Produktionen, ein bisschen ungewaschen, aber da gibt es was zu entdecken

VON MARTHA FRANKEL

„Ich glaube schon, dass das Berliner Publikum gerne Filme sieht, die mehr nach dem eigenen Leben aussehen“, meint Hajo Schäfer, Gründer und Leiter von achtung berlin. Das Festival „für Neues Deutsches Kino aus Berlin“ wird vom 15. bis zum 22. April ausgetragen, und das bereits zum 11. Mal. Neben den traditionellen Spielorten im Kino Babylon Mitte, dem Filmtheater am Friedrichshain, dem Neuköllner Passagekino, dem Kinos Tilsiter Lichtspiele und International erschließt das Festival dieses Jahr erstmals auch brandenburgisches Terrain, wenn ein Teil des Programms seinen Weg nach Kleinmachnow antritt, in das Kino Neue Kammerspiele.

Warum auch nicht – es wäre ebenso missverständlich anzunehmen, das Programm von achtung berlin bewege sich streng innerhalb der Berliner Stadtgrenze. Im Wettbewerbsfilm „Das Floß!“ von Julia C. Kaiser etwa, einer „Improtragikomödie“, spielt ein Gros des Films inmitten der Mecklenburgischen Seenplatte. Denn genau hierhin wird Katha verschleppt, genauer, auf ein Floß. Im Rahmen eines Junggesellinnenabschieds treffen hier noch einmal alle zusammen, bevor Katha Jana ehelicht. Ein Kind ist auch schon geplant. Dieses soll von Momos Samen kommen, den Katha und Jana durch eine Anzeige gefunden haben. Dass Momo nun aber auch Teil der Floß-Crew ist, findet Katha weniger witzig. Genauso wie die Vorstellung an die Feierlichkeiten der daheimgebliebenen Verlobten in der gemeinsamen Berliner Wohnung, in der plötzlich die noch nicht ganz beiseitegelegte Exfreundin vor der Türe steht – wie Jana Katha via Telefon berichtet, betrunken, natürlich.

„Das Floß!“ ist ein schönes Beispiel dafür, was Kino kann, ohne viel Geld zu kosten. Ja vielleicht sogar, ohne überhaupt in Besitz eines klassischen Drehbuchs zu sein. Kaiser hat das zwar studiert, Drehbuch, an der Filmakademie Baden-Württemberg sogar – im Falle von „Das Floß!“ aber überwog die kreative Kraft, die aus der Freiheit schöpft. „Wir konnten einfach auf Krawall losdrehen“, sagt Kaiser. Nach Leben sieht das tatsächlich aus. Womit der Film in der Gunst des Berliner Publikums ziemlich weit vorne liegen dürfte.

Möglicherweise auch „Buschow“, der Film der jungen Regisseurin Rosa Friedrich. Ihn zeigt achtung berlin in der Sektion „Berlin Highlights“. „Das sind sehr freie und unabhängige Produktionen. Die sind schon manchmal ein bisschen ungewaschen. Aber da gibt es was zu entdecken“, so Schäfer. Auch „Buschow“ beschreibt eine Stadtflucht, diesmal ins Brandenburgische. Ein junges Paar fährt in ein Sommerhaus, um sich selbst auf die Schliche zu kommen, die eigene Beziehung zu entwirren.

Ebenfalls mehr Fragestellung denn Alltag zelebrieren Katharina und Steffen, gespielt von Theresa Scholze und Max Riemelt, in Moris Möllers Spielfilm „Lichtgestalten“, der achtung berlin am 15. April eröffnen wird. Das Erfolgs-Paar mit seiner ausgebauten Dachgeschosswohnung und einer Einrichtung, die einem Ligne-Roset-Katalog entsprungen sein könnte, beschäftigt sich plötzlich mit dem Gedanken, wie es wäre, einfach zu verschwinden, alles hinter sich zu lassen – und filmt sich, ganz Selfie-Kultur, dabei selbst. „Wie sich Leute fast unsichtbar in kontrollierbarere Verhältnisse gearbeitet haben“, das beschäftigt Möller, oder Fragen wie diese: „Was ist eigentlich aus dem geworden, was ich mir mal für mich erhofft hatte?“

Was man sich sehnlichst erhofft, aber nicht erzwingen kann, das quält Ina Borrmann, Protagonistin und gleichsam Regisseurin von „Alle 28 Tage“. Ihr Dokumentarfilm zeigt, was es bedeutet, einen Kinderwunsch bis auf den letzten biologisch möglichen Moment zu vertagen. Borrmann begleitet sich in ihm selbst auf dem Weg zur späten Schwangerschaft. „Der Film ist sehr persönlich. Und er hat eine gesellschaftliche Tragweite. Es geht um diesen Druck. Das ist schon sehr polarisierend, sehr kontrovers“, sagt Schäfer. Und fügt an: „Für einige ist der Film auch zu nah am eigenen Leben dran. Dann ist er schwer zu ertragen.“

■ achtung berlin: 15. bis 22. April, achtungberlin.de