Der Held von Ouagadougou

ENTTÄUSCHTE ERWARTUNGEN Stephan Lamby trifft Peer Steinbrück und scheitert an sich selbst. Da hilft nur Helmut Schmidt: „Steinbrücks Blick in den Abgrund – Macht und Ohnmacht eines Krisenmanagers“, 22.45 Uhr, ARD

Am besten ist der Film da, wo Lamby sich raushält. Sein glücklichster Einfall ist gänzlich unoriginell, aber: Helmut Schmidt funktioniert immer

VON JENS MÜLLER

Peer Steinbrück ist einer der profiliertesten deutschen Politiker. Stephan Lamby ist einer der profiliertesten deutschen Fernsehdokumentaristen. Der eine war Finanzminister in Zeiten der Finanzkrise, auf ihm ruhte der kritische Blick des Landes. Der andere suchte die Nähe der ganz Großen des Landes, er richtete seinen kritischen Blick auf Helmut Kohl und Angela Merkel. Und nun also auf Peer Steinbrück. Ein Dreamteam. Da entsteht eine gewisse Erwartungshaltung.

An einem Kabinettstisch, an den die Kanzlerin – wenn sie denn die Wahl hat – nur handzahme Langweiler als Minister holt, war Steinbrück eine Ausnahmeerscheinung. Wie wird der Mann, der schon damals mit seiner Meinung so ungern hinter dem Berg hielt, der Hanseat, den die Hauptstädter ihre Schnauze nicht erst lehren mussten, der Held von Ouagadougou (Sie wissen schon, die Steueroasen!), erst loslegen, wenn er keine Rücksichten mehr zu nehmen hat? Im Interview mit Vorzeigejournalist Stepahn Lamby!

Vielleicht sind Erwartungen manchmal so groß, dass sie nur enttäuscht werden können. Eine runde Sache ist der Film nicht geworden, dafür stört zu vieles. Etwa Lambys allzu oft ins Reißerische kippender Off-Kommentar. Es mag daran liegen, dass Steinbrück ihm die wohl erhofften rhetorischen Ausfälle schuldig bleibt. Stattdessen ist es Lamby, der sich im Ton vergreift, keinen Unterschied mehr macht zwischen globaler Wirtschaftskrise und Weltuntergang – und Steinbrück auch schon mal als „Provinz-Al-Gore“ tituliert. Ein anderer Störfaktor sind die ästhetischen Mätzchen. So muss ein Teil des Interviews in einer nur von Neonröhren erleuchteten Lager- oder Fabrikhalle stattfinden. Mit Steinbrück und seiner Arbeit hat das nichts zu tun.

Die Machart seines Films sieht vor, dass Autor Lamby darin selbst auftritt, in der Rolle des Journalisten. Lamby will unbedingt den hart aber fair Nachfragenden geben. Die gelassene Unaufgeregtheit seines Gegenübers lässt ihn dabei aber ein ums andere Mal eher redundant und rechthaberisch als tough und investigativ wirken. Der Grad ist unleugbar ein schmaler, aber etwa die Szene vor dem Zaun des Kanzleramtes entbehrt nicht einer gewissen – von Lamby nicht intendierten – Komik. Er will es wissen, wieder und wieder, lässt nicht locker: „Dieses Kapitel ist durch für Sie, ja?“ Steinbrück: „Damit insinuieren Sie, es sei je aktuell gewesen.“ Auch bei der x-ten Nachfrage kündigt Steinbrück – natürlich – keine Kanzlerkandidatur an.

Am besten ist der Film da, wo Lamby sich zurückhält. Wo er sich raushält. Sein glücklichster Einfall ist gänzlich unoriginell, aber: Auf eine Zigarette mit Helmut Schmidt funktioniert selbstredend immer. Das Büro von Schmidt ist auch ein guter Ort, atmosphärisch und authentisch. Der Exkanzler und Steinbrück sitzen zusammen am Tisch und qualmen, genussvoll, andächtig, Zigarette der eine, Zigarillo der andere. Schmidt registriert in der Bevölkerung „eine Verachtung der Politiker als Klasse“. Darauf Steinbrück: „Auf der anderen Seite genießen einige – insbesondere wenn sie außer Dienst sind – dann wieder sehr hohen Respekt und Wertschätzung. Aber erst, wenn sie außer Dienst sind!“ Steinbrück meint natürlich Schmidt. Oder verbindet er damit eine Hoffnung für sich selbst?

Keine Frage, die beiden Exfinanzminister sprechen auch über Finanzen. Schmidts Meinung zum Euro in der erweiterten EU: „Das ist alles Blödsinn! Alles Blödsinn!“ Über Lambys Film muss man dank Schmidt nicht ganz so kategorisch urteilen.