„Wir haben eine handzahme Presse“

KOLUMBIEN Wegen politischen Drucks und aus Angst, ermordet zu werden, üben Redakteure in seinem Land Selbstzensur, sagt der Journalist Ignacio Gómez

■ ist in Kolumbien bekannt für seine investigativen Recherchen. Wegen seiner Arbeit bekommt er häufig Drohungen, meist von paramilitärischen Gruppen. Sie unterstützen den Kurs der Regierung, wollen kritische Berichte verhindern. Der Journalist ist Vizedirektor beim Fernsehsender Noticias Uno, wo er seit 2002 arbeitet, und einer der Direktoren der kolumbianischen Stiftung für die Pressefreiheit. Er hat zahlreiche Preise, darunter den Medienpreis von Human Rights Watch, erhalten.

INTERVIEW KNUT HENKEL

taz: Herr Gómez, bis in die neunziger Jahre war investigativer Journalismus eine Domäne Kolumbiens. Die überregionalen Tageszeitungen El Espectador und El Tiempo gehörten zu den international bekannten Qualitätsblättern. Gibt es Qualitätsjournalismus in Kolumbien heute noch?

Ignacio Gómez: Ja, den gibt es, aber leider nicht mehr so wie damals, als die investigativen Abteilungen gut finanziert, abgeschirmt und geschützt waren. Ich habe angefangen, als der Niedergang gerade begann – damals beim El Espectador.

Das Blatt und seine Mitarbeiter sahen sich in den letzten Jahren immer wieder Beschimpfungen aus dem Präsidentenpalast ausgesetzt. Gibt es keinen Respekt mehr vor der Presse?

Diesen Eindruck kann man gewinnen, denn es gibt dunkle Ecken in der kolumbianischen Regierung, die sich nicht um die Pressefreiheit scheren. Dabei trägt der Präsidentenpalast den Namen von Antonio Nariño, einem nationalem Symbol für die Pressefreiheit. Nariño war inhaftiert, weil er für die Freiheit der Presse eingetreten ist, er wäre beinahe vor einem Erschießungskommando gelandet, hat aber nicht locker gelassen. Heute trägt die Regierung dazu bei, die Funktion und das Ansehen der Presse in Kolumbien zu demontieren. Die freie Meinungsäußerung, die Freiheit des Widerspruchs ist in Kolumbien immer weniger gegeben. Inmitten eines Krieges gegen den Terrorismus, so die offizielle Diktion, scheint zu gelten, wer nicht für mich ist, ist gegen mich.

Aber der zukünftige Präsident Kolumbiens, Juan Manuel Santos, stammt aus einer Journalistenfamilie, der die wichtigste Tageszeitung des Landes und mehrere Verlage gehören.

O ja, aber das ist nicht unbedingt eine Verpflichtung zum journalistische Ethos, denn der zukünftige Präsident ist seit langem Mitglied der Regierung von Álvaro Uribe Vélez. Es gibt wenig Grund davon auszugehen, dass der Respekt vor der journalistischen Arbeit nun wieder einkehren wird.

Unter dem scheidenden Präsidenten Álvaro Uribe Vélez wurden Kritiker der Regierung gern als Sympathisanten der Guerilla diffamiert. Wird sich daran etwas ändern?

Schwer zu sagen, denn diese Diffamierungen ziehen sich durch die ganze nationale Administration. Vom kleinen Dorfbürgermeister bis nach ganz oben schallt denjenigen entgegen, die die Korruption anprangern – Guerillero. Das sorgt für einen Ansehens- und Sicherheitsverlust der Betroffenen. Wer in Kolumbien als Guerillero deklariert wird, lebt gefährlich.

Gleichwohl hat es denn Anschein, dass es Fortschritte bei der Verteidigung der Pressefreiheit in Kolumbien gibt. So ist die Zahl der Morde an Journalisten rückläufig, und längst stellt Mexiko Kolumbien bei den Angriffen auf Journalisten in den Schatten.

Es ist richtig, dass es weniger Tote gibt und die Regierung verweist darauf als Erfolg des Kampfes für die Pressefreiheit. Ich denke hingegen, dass wir uns in einem Prozess der Konsolidierung dieses Modells der Dominierung der Presse befinden. Seit 1988 wurden in Kolumbien 178 Journalisten ermordet, das ist nicht spurlos an dem Land vorbeigegangen. Die Morde haben eine Auswirkung auf die Zensur beziehungsweise Selbstzensur. Wenn Sie über die Demobilisierung der Paramilitärs in Kolumbien schreiben oder über den Einfluss der Drogenbarone, kann es Ihnen gehen wie Guillermo Cano, dem 1986 ermordeten Redaktionsleiter des El Espectador. Niemand hat Lust, diese Liste zu ergänzen.

Hat sich demzufolge eine regierungsfreundliche Presse entwickelt?

Ja, eine handzahme, haustierähnliche Presse. Ich sage nur aus einem Grund nicht regierungstreu, denn die Paramilitärs gehören nicht zur Regierung. Gleichwohl werden auch deren Interessen nicht ignoriert, so dass die Medienberichterstattung in Kolumbien immer eindimensionaler wird.