"Schmutziger Süden" von Klaus Lemke: Schwabinger Mädchen revisted

Der Film ist die Heimkehr von Klaus Lemke nach München - und eine Sammlung seiner krudesten Versatzstücke. Ein Ausbruch aus dem Regelwerk des Films (Dienstag, 0.10 Uhr, ZDF).

Kult? Regisseur? Egal: Klaus Lemke mit den Hauptdarstellerinnen von "Schmutziger Süden" Sheila Malek (l.) und Indira Madison (r.). Bild: zdf

"Die 16-Millimeter-Kamera auf die Schulter genommen, die Schauspieler - sprich Laien - vor sich her die Straße hinter gescheucht, ,Macht mal!' - Film ab", so hat der Regisseur Dominik Graf den Stil beschrieben, in dem Klaus Lemke Anfang der Siebzigerjahre begann, auf seine ganz eigene Weise Filme zu machen.

Lemke dreht seine Filme noch heute so, wie es Graf vor vierzehn Tagen in seiner Laudatio zur Verleihung des Filmpreises der Stadt München an den Regisseurskollegen und Freund beschrieb. Nur ist jetzt statt der 16-Millimeter-Kamera die Mini-DV, die kleine handliche Videokamera, im Einsatz. So entstehen ganz andere Filme, als man gewohnt ist, und interessanterweise fällt das heute mehr auf als vor dreißig, vierzig Jahren. Das ist erstaunlich, denn man möchte meinen, das leichte Equipment müsste diesen "Macht mal!"-Stil strukturell begünstigen; alle Welt sollte also heute so drehen, wie es Klaus Lemke vorexerziert.

Aber Filmemachen ist heute mehr denn je eine akademische Angelegenheit. Der Professionalisierungswahn, der just in den 70er Jahren einsetzte, hat Filmakademien en masse hervorgebracht und seinen Ehrgeiz in Ausbildungsstandards gesetzt, die die Leute inzwischen sämtlicher Mittel berauben, sezessionistisch aus dem Regelwerk auszubrechen, nach dem Drehbuch, Schauspiel, Dramaturgie und Produktion abzuwickeln sind.

Noch einmal Dominik Graf: "Damals sperrte man auch noch nicht die Straßen ab, wenn zwei Schauspieler drüber sollten. Nicht für die Versicherung, nicht für den Ton, nicht für die Nerven des Aufnahmeleiters. Schauspieler sind ja auch Verkehrsteilnehmer und können durchaus mal allein sehen, wie sie durch den Verkehr kommen."

Was Klaus Lemke damals und heute immer noch macht, ist die filmische Version der Street Photography eines Robert Frank oder William Klein - die es heute auch nicht mehr gibt, weil jeder sein Recht auf das eigene Bild reklamiert. Wahrscheinlich, um die Ohnmacht zu kaschieren, dass man sich jederzeit und an jedem Ort von den Überwachungskameras der politischen und ökonomischen Machthaber filmen lassen muss.

Die zwei, die über die Straße wollen, sind die zwei Brüder Mark (Hans-Jürgen Modschiedler) und Uli (Paul Lyss) aus dem Film "Rocker" (1972), den kürzlich wieder, wie jedes Jahr im Juli, tausende Fans im Hamburger Sankt-Pauli-Stadion gesehen und dabei jede Zeile auswendig mitgesprochen haben. "Finale" aus dem Jahr 2006, als die Fußballweltmeisterschaft in Deutschland stattfand, ist Lemkes letzter Hamburg Klassiker.

Inzwischen hat er wieder München entdeckt, und seine Mädchen, auf die er zum ersten Mal 1975 mit "Idole" gestoßen war, zeigt das ZDF heute Nacht in "Schmutziger Süden".

Der Film vollzieht die aktuelle Filmbewegung von Lemke selbst nach: Ein Hamburger Jung kommt nach München und spürt dort in endloser Abfolge, so scheint es, die Schwabinger Mädchen auf. Sie sind dann aber doch ganz anders als früher, verbieten das Rauchen in der Wohnung, und ab 18 Uhr kommt ihnen kein Essen mehr in den Magen. Für Lemke sind sie trotzdem die gleichen: "Extrem sexy, konsumfreudig, aber vollkommen verwirrt", wie er vor Kurzem der Süddeutschen Zeitung sagte.

Ein wenig ist die Verwirrung der Mädchen auf den Film übergegangen. Wohin die Geschichte, die bei Lemke ja immer gern etwas rudimentär und fragil und dadurch oft ein wahrer Glücksfall ist, bei "Schmutziger Süden" zielt, wird nicht so recht klar. Ein gutes Argument übrigens, daraus eine Miniserie für den Bayerischen Rundfunk (BR) zu machen, wie es Lemke in gewohnter Kühnheit plant. Eine solche TV-Mini-Serie könnte das Durcheinander - auch beim BR - etwas sortieren.

An "Schmutziger Süden" ist gut zu erkennen, dass Lemkes Kino durchaus ein zerbrechliches Kino ist, wie Dominik Graf anmerkte. Das dramaturgische Laisser-faire führt eben auch mal unfreiwillig zu einem Kunstvideo. Aber was soll man sagen, wo man der Produktivität des Regisseurs, der im Oktober 70 Jahre alt wird, gar nicht hinterherkommt? Bei seinem neuesten Kinofilm "Drei Kreuze für einen Bestseller" ist das Laisser-faire wieder vollkommen transparent und das Ergebnis absolut großartig.

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