„Man wird wohl fragen dürfen“

SACHSENSUMPF Die fraglichen Artikel dürfen nach wie vor im Netz stehen. Nicht nur darüber wundert sich „Zeit“-Chefredakteur di Lorenzo und vermutet gezielte Einschüchterung

VON STEFFEN GRIMBERG

In einem unterscheidet sich der Prozess um die Berichterstattung über den sogenannten Sachsensumpf von anderen Verfahren dieser Art: Die Hintergründe und fraglichen Artikel sind immer noch uneingeschränkt im Internet nachzulesen. Und das, obwohl das Amtsgericht Dresden am vergangenen Freitag sein viel kritisiertes Urteil gesprochen hatte: 5.000 Euro sollen die beiden freien Journalisten Thomas Datt und Arndt Ginzel wegen ihrer Berichte über den sogenannten Sachsensumpf zahlen.

Das Gericht hat in erster Instanz darauf erkannt, dass der auf Zeit-Online erschienene Artikel „Voreiliger Freispruch“ vom Juni 2008 den Tatbestand der üblen Nachrede gegen zwei Polizeibeamte erfüllt. Der ursprünglich auch erhobene Vorwurf der Verleumdung wurde fallengelassen (taz vom 14. 8). Datt und Ginzel haben angekündigt, gegen das Urteil vorzugehen. Doch weil nur mit der Keule des Strafrechts, aber nicht den Mitteln des Presserechts gegen sie vorgegangen wurde, bleiben die Artikel weiter im Netz. Presserechtliche Ansprüche hatte der Nebenkläger – ein pensionierter Staatsanwalt – angeblich wegen des hohen Kostenrisikos gescheut. Nicht eben eine überzeugende Argumentation eines Topjuristen.

„Die Tatsache, dass man die Artikel nach wie vor lesen kann, nährt den Verdacht, dass es gar nicht darum ging, die Berichterstattung in Frage zu stellen, sondern die Journalisten einzuschüchtern“, sagt auch Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo. Das gleich mit dem Strafrecht operiert werde, gehe „weit über normale Verfahren“ hinaus. „Es ist sonst Usus, gegen die betreffenden Pressehäuser vorzugehen, nicht allein gegen die freien Mitarbeiter.“ Für di Lorenzo ist zudem die Dauer des Verfahrens ein Indiz, das hier ein Exempel statuiert werden sollte: „13 Prozesstage – welcher freie Journalist kann sich das leisten?“ Auch den Vorwurf, die Berichte gingen zu nachlässig mit dem Ansehen hochrangiger Juristen und eben der Polizei um, weist di Lorenzo zurück: „Man soll Persönlichkeitsrechte nicht gering schätzen, aber es ist das elementare Recht des Journalismus, juristische Vorgänge kritisch zu überprüfen“, so der Chef der Zeit, „fragen wird man ja wohl noch dürfen.“

Das sah das Dresdner Hausblatt, die Sächsische Zeitung, allerdings ganz anders: „Journalisten haben eine besondere Verantwortung gegenüber ihren Lesern. Bevor sie öffentlich schwere Anschuldigungen verbreiten, müssen sie diese sorgfältig prüfen. Deshalb ist es in diesem Zusammenhang völlig unangebracht, das Urteil des Dresdner Amtsgerichts gegen zwei Journalisten wegen übler Nachrede zu einem schweren Angriff auf die Pressefreiheit umzudeuten“, hatte Dieter Schütz, Politikchef des zum Gruner + Jahr-Verlags gehörenden Blattes, in einem an Deutlichkeit nicht zu übertreffenden Kommentar in der Wochendausgabe geschrieben: „Beim Sachsensumpf handelt es sich deshalb um ein trauriges Lehrstück in Sachen Journalismus.“ Gerade deshalb sei es „ganz gut, wenn gelegentlich Medien, die nicht aus der betreffenden Stadt oder demselben Bundesland kommen, sich dieser Sachen annehmen“, kontert di Lorenzo: Schließlich habe es zu Korruptionsvorwürfen in Sachsen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft und Dossiers des Verfassungsschutzes gegeben – vom Untersuchungsausschuss des Landtags ganz zu schweigen: „Ich verteidige nur das Recht, Fragen zu stellen in einem Fall, wo auch hochoffizielle Stellen dringenden Fragebedarf hatten.“ Er werde seinen Verlag bitten, Datt und Ginzel „auch weiterhin zu unterstützen“.

■ Betreffender Artikel im Netz: http://www.zeit.de/online/2008/27/sachsensumpf-jasmin