Gesetze neu interpretiert

CHINA Deutsche Korrespondenten fordern Freiheiten

Passanten nach ihrer Meinung befragen, Straßenszenen filmen, Experten zu aktuellen Ereignissen interviewen: In China wird die alltägliche Arbeit ausländischer Korrespondenten von den Behörden behindert. Vor dem Peking-Besuch von Außenminister Guido Westerwelle (FDP) in dieser Woche haben sich deshalb 26 deutsche Journalisten, darunter auch der taz, in eigener Sache an den Minister gewandt. In einem gemeinsamen Brief bitten sie ihn, sich bei seinen Gastgebern für vernünftige Arbeitsbedingungen in China einzusetzen, „so wie es für chinesische Journalisten in Deutschland selbstverständlich ist“.

Grund für den Brief: Seit einigen Wochen hat sich die Situation deutlich verschärft. Die meisten der in Peking und Schanghai akkreditierten Korrespondenten wurden zur Polizei zitiert. Dort erfuhren sie, dass sie künftig vor Interviews und Filmarbeiten eine Genehmigung der Behörden brauchen. Die Warnung: Wer sich nicht an die Vorschriften halte, müsse mit dem Entzug der Arbeitserlaubnis rechnen. In mehreren Fällen wurden Journalisten bei der Recherche stundenlang festgesetzt sowie ihre Mitarbeiter und Gesprächspartner eingeschüchtert.

Die Polizisten störten sich nicht daran, dass die von Premierminister Wen Jiabao unterzeichneten Regeln für Auslandskorrespondenten ein freieres Arbeiten erlauben: Nur die Einwilligung der Gesprächspartner oder der besuchten Organisation ist darin verlangt. An diesen Regeln ändere sich nichts, hieß es jetzt – nur an ihrer Interpretation. Von nun an dürfen die örtlichen Behörden entscheiden, ob sie den Journalisten erlauben, in ihrem Bezirk zu recherchieren.

Noch schlechter geht es derzeit vielen einheimischen Journalisten, Bürgerrechtlern und Internetkommentatoren. Das hängt offenbar mit der Sorge der Behörden zusammen, der Funke der nordafrikanischen Rebellionen könnte überspringen.

JUTTA LIETSCH, PEKING

Gesellschaft + Kultur SEITE 15