Rückzug in die Wüste

HÖRFLUT Die Medien sind überall, die Zeit der Einsamkeit ist vorbei. Hilft da nur noch Flucht?

Das Radio als Gerät und der Rundfunk als Technik verschwinden im Smartphone, so könnte man kurz und knapp sagen. Sie verlieren damit ihre Selbstständigkeit.

Die Gesellschaften werden nicht mehr von den Massenmedien formiert, sondern durch ein zunehmend globales Medienuniversum mit einer Vielzahl von vernetzten Sendern. Dadurch bilden sich neue, mit den herkömmlichen Öffentlichkeiten sich verzahnende und verschwimmende Kommunikations- und Informationsräume heraus, redaktionell aufbereitete Medien müssen sich diesen anpassen und werden in Zukunft teilweise ebenso wie die Journalisten durch Algorithmen ersetzt, die automatisch mit mehr oder weniger künstlicher Intelligenz Informationen sammeln, aufbereiten, aktualisieren und zusammenstellen.

Geprägt wird die neue Öffentlichkeit davon, dass die MP3-Player, das Netbook und natürlich die Smartphones überallhin mitgenommen werden können. War man vor den Internet- und Handyzeiten außer Haus kaum erreichbar, so ist man dies nun immer und überall und schwimmt gleichzeitig mit dem Informations- und Kommunikationsfluss mit. Einsamkeit gibt es nicht mehr, auch das Wegsein ist verschwunden, die räumliche Distanz trennt nicht mehr.

Für den Rundfunk deuten sich weitere Veränderungen an, wenn die Menschen durch smarte Maschinen ersetzt werden, wo es möglich ist. Schon länger können Texte automatisch vorgelesen werden, die Programme werden besser, die Stimmen lebensechter, was darauf hinauslaufen könnte, dass unter dem Kostendruck Sprecher weitgehend vor allem in der Nachrichtenbranche durch Text-to-Speech-Programme ersetzt werden. Da zudem die Erkennung natürlicher Sprache deutliche Fortschritte gemacht hat und Sprachprogramme flexibler werden, wird die sprechende und hörende Kommunikation zwischen personalisierten Maschinen, also Robotern oder virtuellen Bots, und Menschen auch flüssiger, lebendiger und anregender werden. Interviews oder Gespräche mit Zuhörern können dann auch teilweise ohne einen Reporter, Sprecher oder Moderator geführt werden.

Die sprechenden Menschen, die nicht möglichst maschinenhaft, also neutral und distanziert, Nachrichten vorlesen, sondern mit ihren Stimmen ihre Persönlichkeit und die Bedeutung des Inhalts durchscheinen lassen, landen möglicherweise in teuren Nischenprogrammen.

Das Gehör, das man nicht wie Augen zuklappen kann, verleibt sich die akustische Umwelt ein, ähnlich wie dies beim Geruch und Geschmack der Fall ist. Umso wichtiger ist, was wir in uns aufnehmen. Zweifellos haben wir gegenwärtig aber mit der permanenten Sprach- und Musikglocke, in der wir uns bewegen, meist auch, um uns vor den Geräuschen der Hörumwelt zu schützen, eine Abwertung der Hörkultur geschehen lassen, die sich auch auf den Rundfunk auswirk oder eher: diesen in großen Zügen prägt.

Vermutlich wird die Zahl der Zeitgenossen steigen, die zunehmend dem Terror des Audiovisuellen entfliehen und lieber in einer selbst gewählten auditiven Wüste mit wenigen akustischen Oasen zum Niederlassen leben werden. Der permanente Musikstrom aus den unendlichen Tiefen der digitalen Speicher gerät zum Anschlag auf die Autonomie, jedenfalls zu einer Belästigung. Auch das in aller Regel munter aufgetunte Gerede, das meist aus dem Radio tönt, ist ebenso unerträglich wie die Attitüde der Nachrichtensprecher, die unbeeindruckt von der Art der Nachrichten von einer zur anderen ziehen, weil die Sendezeit gefüllt werden muss, weil die Linearität des Mediums unerbittlich ist. FLORIAN RÖTZER

■ Der Autor ist Chefredakteur des Onlinemagazins „Telepolis“ und hat zuvor für die Zeitschrift Kunstforum International gearbeitet. Dieser Text ist Teil einer Kooperation der taz mit „Mehrspur“, dem Medienmagazin des Radiosenders SWR2. Mehr auf: www.swr2.de/dokublog