High Noon in Saarbrücken

UND BITTE! Zu Besuch beim Dreh des Saarland-„Tatorts“: Die Sonne knallt, der Szenenbildner trägt noch Rost auf und sogar die echte Polizei schaut vorbei

Und dann, endlich, legt sich diese unnachahmliche Ruhe über das Set, und Gäste wie Ureinwohner am Straßenrand wissen: Jetzt geht es los

AUS SAARBRÜCKEN STEFFEN GRIMBERG

Gnadenlos knallt die Sonne auf die Straße, 39 Grad können es heute noch werden. Im Schatten, versteht sich. Bloß gibt es den nur auf der anderen Seite, drüben, beim „Golden Gate“, das in angeranzter Schönheit versinkt. Derweil wir hier in der Sonne warten, es ist ein bisschen wie im Opener von „Spiel mir das Lied vom Tod“, nur ohne Fliege.

Ja, ein Hauch von Western liegt unmissverständlich über dem Ganzen, und die Welt ist hier tatsächlich zu Ende, die Straße wird von einer Mauer begrenzt, was wiederum ganz praktisch ist, weil schließlich der „Tatort“ „Ende der Straße“ gedreht wird. Mittendrin steht Christian Bauer und schwitzt zufrieden. Bauer ist Redakteur beim Saarländischen Rundfunk (SR) und war zwischendurch mal berühmt, weil er die bisherigen Saarbrücker „Tatort“-Kommissar-Schauspieler Maximilian Brückner und Gregor Weber in die TV-Wüste schickte.

Jetzt drehen die Neuen, aber noch sind Devid Striesow und Elisabeth Brück gar nicht da. Es ist zwei Uhr, das Team baut auf und entdeckt dabei etwas Brachland hinter einer halb eingekrachten Mauer, auf dem ein Eisenbahnwaggon vor sich hin rottet. „Hannu könnte das gefallen“, raunt es aus dem Pulk der Kamera- und Regieassistenten.

Die ersten Schaulustigen

Hannu heißt Salonen, hat schon einen ganzen Schwung Saar- und andere „Tatorte“ gedreht und ist natürlich auch noch nicht da. Der Tross wuchtet derweil Einweg-Wasserflaschen durchs Motiv, im Schatten sind es jetzt immerhin schon mal 37 Grad, Helfer sperren die Straßen ab, die ersten Neugierigen finden sich ein. Ganz zumachen geht nicht, heißt es zum Frust der Absperrer, nur wenn akut gedreht wird.

Halb drei. Von Dreh keine Spur. Dafür hat jemand zur Freude aller später Durstigen einen Schwung Wasserflaschen von außen aufs Fensterbrett in die pralle Sonne gestellt. Szenenbildner Andreas C. Schmied beschmutzt nochmal gekonnt das Schild vom „Golden Gate“, damit es noch etwas westernmäßig-heruntergekommener aussieht. „Das bringt echt was, sieht aus wie Rostflecken“, sagt er.

„Film ist Vorbereitung“, lästert ein Produktionsmensch im Vorbeigehen. Wobei das Haus trotz „Golden Gate“-Schild tapfer dabei bleibt, ein runtergekommenes Kleinbürger-Gründerzeithaus zu sein, aus der Zeit, als das Saarland zwischendurch mal so richtig reichsdeutsch-preußisch war. „Unser Puff sieht besser aus als die Puffs in der Innenstadt“, sagt Redakteur Bauer, und dann ist plötzlich Hannu Salonen da.

Kameramann Wolf Siegelmann lockt den Regisseur über die Mauer: „Magst du mal mit rüberkommen? Es lohnt sich!“ Ich werde währenddessen aufgeklärt, dass die offizielle Bezeichnung für Kameramann auf Filmdeutsch immer noch Bildgestalter sei. Bitteschön: Bildgestalter Siegelmann hat Erfolg, die Kamera wird von hinter der Mauer schießen. Auch die Kommissare werden aus dieser Deckung das „Golden Gate“ observieren, und nicht, wie ursprünglich geplant, aus der gepflegten Langeweile einer Zivilbullenschaukel.

Jetzt ist aber erst mal großes Hallo am Set, weil die Polizei vorfährt, verwirrenderweise die echte. Dem Wachschutz vom Industriebetrieb um die Ecke hat jemand das Fahrrad geklaut, „blaues Rennrad, müsste hier bei euch durch sein“, sagt der Wachtmeister. Ist aber nicht, auch die Absperrer wissen von nichts.

Der SR dreht mit Salonen gerade, schön ineinander verschränkt, die ersten zwei „Tatorte“ mit dem neuen Team. Der Dreh heute gehört zu „Ende der Straße“, in dem es ums Rockermilieu geht. Einer der bösen Buben kommt um, zunächst sieht alles nach Bandenkrieg aus … – mittlerweile ist es zehn nach drei, und immer noch kein Rocker in Sicht, dafür rumort es plötzlich auf der Straße, vor allem bei den Zaungästen: Die Damen vom „Golden Gate“ treffen ein.

„Nein, die sind nicht echt“, sagt einer vom Team, und dann geht es Schlag auf Schlag: Devid Striesow kommt im kreischend karierten Hemd, Elisabeth Brück muss Hände schütteln, und wer denkt, dass es jetzt mal richtig losgeht, hat sich natürlich getäuscht. Dabei hat der Aufnahmeassistent schon um Ruhe und Aufmerksamkeit gebrüllt, aber was ganz anderes gemeint: Peter vom Licht hatte nämlich Geburtstag, und deswegen singen wir jetzt alle erst mal schön schief „Happy Birthday“ und dann gleich nochmal für ein zweites Geburtagskind.

Halb vier ist durch, ein kleiner Junge kommt auf einem deutlich zu groß geratenen blauen Fahrrad an, guckt groß und radelt weiter. Der wird doch nicht? Die Sonne hat ihre Leistung auch noch mal gesteigert, aber hier schont sich keiner: Selbst das Regiestühlchen von Salonen steht voll im gleißenden Licht, weshalb er unter ein improvisiertes, an Photographie-Pioniere erinnerndes Zelt verschwindet, wenn er die Kamerabilder auf dem Monitor verfolgen will.

Die Stille vor dem Take

Und dann, endlich, legt sich diese unnachahmliche Ruhe über das Set, und Gäste wie Ureinwohner am Straßenrand wissen: Jetzt geht es los. Was auch bedeutet, dass wir wieder voll in die pralle Sonne müssen, aber die Szene so immerhin in ihrer ganzen Pracht erleben dürfen.

Tim Olrik Stöneberg spielt in „Ende der Straße“ den Rocker Tim Rowert. Er kommt auf einem Motorrad angebraust, hält vor dem Puff und spricht mit einer der Damen. Er gibt ihr Geld – zu wenig offenbar, denn sie regt sich mächtig auf. Allerdings nicht mächtig genug für Salonen: „Das muss ein bisschen fetter“, entscheidet der Regisseur und zeigt Saskia Petzold, wie sie noch aufgebrachter sein soll.

Die Kommissare observieren derweil hinter ihrer Mauer und sind auf dem Holzweg: „Ich glaube, wir sind auf dem Holzweg“, sagt jedenfalls Brück zu Striesow. Es sei wohl doch ein Bandenkrieg, worauf Striesow messerscharf antwortet: „Oder jemand gaukelt uns einen Bandenkrieg vor.“ – „Geht sie anschaffen?“, fragt Brück. „Nee, da läuft was anderes“, sagt Striesow, und dann ist der Aufnahme-Assi da und regt sich furchtbar auf, dass ich aus dem Drehbuch abpinne. Ich mache einen zerknirschten Diener und trolle mich.

41 Drehtage hat der SR für seine beiden „Tatorte“, macht rechnerisch magere 20,5 pro Film. An diesem hier wird ausgiebig Motorrad gefahren, immer von oben an der Straße vors „Golden Gate“, Streit, und Weiterfahrt ums Eck an der Mauer. Gedreht wird schließlich, bis der Regisseur nicht mehr sagt: „Das war schon ganz gut“. Prompt sagt Salonen: „Das war sehr schön, deshalb machen wir’s gleich nochmal“, Regisseure müssen wahrscheinlich Perfektionisten sein. Weshalb die Komparsinnen, die als Huren vor dem Haus rumhängen, schon wieder Besuch von Regieassistent Robert Obermaier bekommen. „Wir haben das Gefühl, dass ihr ständig zur Kamera guckt“, sagt Obermaier – „tut ihr auch!“ Für die nächsten Szenen bekommen sie Zeitschriften in die Hand gedrückt, zum Dran-Festhalten. Sieht seltsam belesen aus, aber ist ja auch öffentlich-rechtlich.

Neuer Take, ein Flugzeug fliegt lärmend über die Szene, „Prima, danke, wir machen’s nochmal“, sagt Salonen, mittlerweile ist es halb fünf. Zur Abwechslung steht plötzlich die Feuerwehr da und möchte die Absperrungen kontrollieren. So viel ist aber gar nicht mehr zu sperren, auch die Einwohner sind längst gegangen und debattieren wahrscheinlich, wie langweilig Fernsehen in echt ist.

Die Szene ist im Kasten

„Abbruch, da ist jemand im Bild“, motzt Salonen x Wiederholungen später, und ich muss schon wieder kleinlaut dienern, weil ich dem Motorrad hinter der Ecke in den Fahrweg gelatscht bin. Weil danach nur noch die An-, aber nicht mehr die Abfahrt wiederholt wird, bedenkt mich der Regieassistent mit einem freundlichen „Motorrad kommt nicht, es kann rumgehampelt werden“, und dann ist die Szene endlich im Kasten.

Es folgen Motiv- und Kostümwechsel, und Devid Striesow zwängt sich in das nächste hässliche Hemd – diesmal ist es ein großkarierter Traum in Blasstürkis-Weiß. Die Uhr geht auf sechs, und der Himmel ist weiter wolkenlos, bei milden 35 Grad.

„Melinda“ und „Ende der Straße“ sind mittlerweile abgedreht und laufen Anfang 2013 in der ARD