Es geht auch ohne Pilcher

KITSCH Das ZDF kündigte an, das „Herzkino“ vom Märchen zu befreien. „Das Mädchen mit dem indischen Smaragd“ (Sa. und So., 20.15 Uhr) zeigt ein bisschen mehr wahres Leben

VON HARALD KELLER

Ein Bonbon für alle, die mit Wonne dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen zusetzen: Im September ließ die für das allsonntägliche ZDF-„Herzkino“ zuständige Redaktionsleiterin Heike Hempel per Pressemitteilung verbreiten: „Märchen war gestern, heute ist Leben.“ Doch siehe, womit beginnt der ZDF-Zweiteiler „Das Mädchen mit dem indischen Smaragd“? Mit einem Märchen.

Dies wäre lässlich, handelt es sich doch um eine Binnenerzählung im Stil der Geschichten aus 1001 Nacht, im Klassenraum vorgetragen von der Lehrerin Annie Krüger (Stephanie Stumph). Regisseur Michael Karen verkitscht da nichts, schneidet nicht etwa auf staunende Kinderkulleraugen, sondern zeigt gelangweilte Gesichter. Und dann wartet noch ein Rüffel auf die junge Lehrkraft, weil sie einem Abschreiber ein Ungenügend verpasst hat. Sie lässt den Rektor stehen und bekommt als Drohung nachgeworfen, sie brauche nach den Weihnachtsferien gar nicht mehr wiederzukommen. Willkommen im Leben.

Die Gunst Ihrer Hoheit

Jedoch: Per Anruf aus Indien erfährt Annie Krüger, dass ihr Vater, den sie in Spanien wähnte, ohne zu zahlen aus seinem Hotel verschwunden ist. Schon sehen wir sie in einer überfüllten Flugzeugkabine. Dort stolpert die geplagte Reisende auf der Suche nach hilfreichem Personal in die „Maharadscha Suite“, wo sie auf Anhieb die Gunst der dort residierenden Hoheit erobert. Sie wahrt zwar Distanz, aber der ölige Prinz bleibt ihr auf den Fersen und erweist sich als der Sohn der deutschstämmigen Maharani (Suzanne von Borsody). Die hatte Annie Krügers Vater einst in einer ihrer Stiftungen beschäftigt. Willkommen im Märchen?

Bis heute wird die Wahrnehmung des ZDF-Sonntagsfilms vom Wirken Claus Belings bestimmt, der bis 2007 die Hauptredaktion „Unterhaltung Wort“ leitete. Auf seiner Webseite rühmt er sich, „wie kaum ein anderer die dramatische Kraft großer Landschaften erkannt und erzählerisch genutzt“ zu haben. Die Stoffe für diese programmgestalterische Vision fand er primär bei Rosamunde Pilcher und bei Christiane Sadlo, deren Pseudonym Inga Lindström für eine ganze Filmreihe steht. Und damit wie der Name Pilchers für ein Leben nach Gutsherrenart, für falsche Gefühle, von Streichern getragene Landschaftsbilder, bei denen alle wideridyllischen Elemente sorgfältig ausgemerzt werden.

Bei flüchtigem Hinsehen bleibt „Das Mädchen mit dem indischen Smaragd“ dem Muster treu. Das malerische Jaipur erscheint in schwelgerischen, durch ein Sepia-Filter gewärmten Bildern. Und Annie Krüger widerfährt laufend Wunderbares: Mitten in den Slums begegnet ihr ein freundlicher Paria, der bestens Deutsch spricht und ihr auch noch die gestohlene Tasche zurückbringt. Überhaupt sind vom Taxivermittler über den Polizeibeamten bis zum Bibliothekar viele Inder des Deutschen mächtig – der typische, ärgerlich stimmende Schnulzennationalismus.

Die Korruption des Adels

Schön und unwirklich also. Doch es gibt Stolperstellen wie jene Sequenz, in der Jaipurs Oberschicht champagnerschlürfend Karitas vorgaukelt, während im Gegenschnitt die ärmsten der Stadtbewohner niedergeknüppelt werden. Der Film spricht Dinge an, die es bei Claus Beling eher nicht gegeben hätte: Diskriminierung, Misogynie, Korruption.

Worauf die Geschichte letztlich hinausläuft, lässt sich nicht sagen. Das ZDF verschickte nur den ersten von zwei Teilen. Als gäben Verlage Rezensenten halbe Romane an die Hand, stellten Plattenfirmen nur halbe Alben zur Verfügung, würden Pressevorführungen von Kinofilmen nach der Hälfte abgebrochen.