Die Zeitungsflüchtigen

ONLINE US-Journalisten, die sich bei renommierten Printmedien einen Namen gemacht haben, zieht es ins Internet. Es lockt das Geld großer Konzerne – das die Traditionsverlage nicht aufbringen können

Die Aufbruchstimmung bei digitalen Medien erinnert an die Anfänge des Kabelfernsehens

AUS WASHINGTON DOROTHEA HAHN

Ezra Klein ist in der US-amerikanischen Medienbranche ein Star. Der 29-Jährige experimentiert auf der Grenze zwischen „alten“ und „neuen“ Medien – zwischen Papier, Äther und Web.

In den letzten fünf Jahren tat er das aus der sicheren Position eines Angestellten der Washington Post. Er gründete in der alteingesessenen Hauptstadtzeitung den Wonkblog, den allmonatlich mehr als vier Millionen SurferInnen anklicken, und kommentierte nebenbei die Aktualität in dem Fernsehsender MSNB, bei Bloomberg View und im New Yorker. Ein Reflex der Obama-Jahre: Klein schreibt zur Gesundheitsreform und über sozialen Ausgleich.

Jetzt bricht Klein aus den 137 Jahre alten Papierstrukturen aus und strebt gänzlich ins Internet. In der vergangenen Woche hat er die Washington Post verlassen, um sein eigenes Unternehmen zu eröffnen. „Project X“, so der vorläufige Titel, soll die technischen Möglichkeiten des Internets besser nutzen, um Nachrichten und Hintergründe zusammenzubringen. Klein spricht von einem „Hybrid zwischen Nachrichtenseite und Enzyklopädie“.

„Ihr Idioten“, schimpfte der New Yorker Kolumnist Paul Krugman, als er erfuhr, dass die Washington Post darauf verzichtet, Klein zu behalten. Der 29-Jährige hatte seiner Zeitung angeboten, den Wonkblog weiterzuführen, dazu jedoch zusätzliche finanzielle Mittel – die Rede ist von 10 Millionen Dollar – mehr Personal und eine komplett von der übrigen Redaktion unabhängige Struktur verlangt. Der Verlag lehnte ab. Es gebe keine Garantie, dass Kleins neue Publikation profitabel werde. Ezra Klein ist nicht der erste prominente Journalist seiner Generation, der ins Internet wechselt. In den zurückliegenden Monaten haben ihm das andere vorgemacht: Glenn Greenwald, der einen großen Teil der NSA-Enthüllungen von Edward Snowden veröffentlichte, verließ den britischen Guardian. Nate Silver, der als Statistiker und Kolumnist neue Wege in der Prognose beschritt und damit Politik- und Sportereignissen mit nie dagewesener Präzision beschreibt, hat der New York Times den Rücken gekehrt. Und die beiden Technologie-JournalistInnen Kara Swisher und Walt Mossberg sind aus dem Wall Street Journal ausgeschieden. Sie alle haben es vorher geschafft, im Inneren ihrer alten Medien eine „Marke“ zu entwickeln, die mit ihrem Namen verbunden ist.

Die meisten AussteigerInnen haben ihren Weg ins Internet finanziell solide abgesichert. Greenwald hat sich von eBay-Gründer Pierre Omidyar für dessen „First Look Media“ anheuern lassen. Silver hat seinen Blog mit zu dem Sportsender ESPN genommen. Und Swisher und Mossberg sind zu dem Fernsehsender NBC Universal gegangen, der von General Electrics (GE) kontrolliert wird.

Ezra Kleins Wechsel hingegen ist ein Wagnis. Er hat seinen Blog keinem großen Konzern verkauft, sondern er geht zu der digitalen Plattform Vox Media, die so neu ist, dass selbst viele seiner jungen Fans nie von ihr gehört haben. Wie viel Geld Vox Media in „Project X“ steckt und ob es genauso viel ist, wie Klein von der Washington Post verlangt hat, ist ein Geschäftsgeheimnis.

Fest steht aber, dass Vox Media bei den kommenden Verteilungskämpfen um die Märkte im Internet gegen zahlreiche Konkurrenten antreten wird, darunter Internetportale, die bereits seit Jahren etabliert sind und große Konzerne wie AOL, die die Huffington Post aufgekauft haben.

Die technischen Verbesserungen im Internet haben zu einer Aufbruchstimmung bei digitalen Medien geführt, die an die Anfänge des Kabelfernsehens in den 80er Jahren erinnern. Und wie damals ist auch im Internet absehbar, dass zahlreiche neue Portale in den nächsten Jahren fusionieren oder ganz verschwinden werden. Die Bedrohung für die „alten“ Medien sei trotzdem gering, sagt der „Business Insider“-Blogger Henry Blodget. Seine Begründung: „Der digitale Journalismus ist ebenso weit von Print entfernt wie Print vom Fernsehen.“

Ezra Klein nimmt zwei KollegInnen aus der Washington Post und einen von „Slate“ mit zu „Project X“. Während die Printbranche in den USA JournalistInnen entlässt, veröffentlichen die neuen Internetmedien Jobangebote. Klein sucht unter anderem: „Autoren, Hacker, Daten-Genies. Designer und Video-Macher“.