Angst und Wahnsinn in L. A.

PSYCHO-PUNK Inszenierung abgefuckter Selbstzerstörung: Die kalifornischen Experimental-Post-Punker „Liars“ malen für ihr aktuelles Album „Sisterworld“ Bilder mit Musik

Sie kriechen schleppend dahin, schleichen sich ran und wieder weg, hämmern dumpf gegen imaginäre Kellerwände

VON MICHAEL SAAGER

Die Sonne Kaliforniens schaute schon freundlicher auf Los Angeles herab. Dass sie ihr angenehmes Strahlen in dieser Metropole zahnweißen Stand-by-Lächelns komplett verloren hat, dass sie, wenn nicht von dreckig-schwarzen Wolken verdeckt, schmerzhaft grell in die Augen sticht und immer dort am heftigsten brennt, wo bedauernswerte Crystal-Meth-Junkies nach 64 Stunden überdrehten Wachwahns ein kleines bisschen Ruhe und Schatten für die sich anbahnende Monsterdepression suchen – all das haben die „Liars“ auf ihrem fünften Album sehr hübsch hinbekommen. Bilder malen mit Musik nennt man so was.

„Sisterworld“ ist kein richtiges Konzeptalbum, so wie „They Where Wrong, So We Drowned“ (2004), ihr zweites, dessen Stücke sich perkussiv lärmend auf dem Hexentanzplatz zur Walpurgisnacht tummelten. Aufgenommen in den USA, reflektiert die neue Platte mit bildhaften Songtiteln wie „Scissor“, „I Still Can See An Outside World“ oder „Drop Dead“ und wohl erst recht in den (leider reichlich unverständlich dahingenuschelten) Texten allerhand Erfahrungen, die Angus Andrew, Aaron Hemphill und Julian Gross in der Subkultur, im Sumpf von Los Angeles gemacht haben.

Das Unterleben, „die Lebensräume, in denen Outcasts und Einzelgänger eine verdrehte Beziehung zum Rest der Gesellschaft führen“, habe sie interessiert. Na, was denn sonst!?

Wer die psychedelisch verjunkten Platten der „Liars“ kennt oder einmal erlebt hat, wie Sänger Andrew das seit ein paar Jahren nicht mehr sonderlich angesagte Performance-Modell „Ich bin der kaputteste aller Wahnsinnigen!“ mit Grabesstimme oder in seufzend hohen Tönen bis hinauf zum Falsett derart überzeugend auf die Bühne brachte, dass man noch Tage nach der Show die Authentizität des Ganzen nicht in Frage gestellt wissen wollte, der weiß, dass diese drei Typen ihre Freizeit nicht in Nagelpflegestudios verbringen.

Dieser Inszenierung abgefuckter Selbstzerstörung entspricht auch die Musik des neuen Albums – dargeboten in zähnefletschenden, häufig wie von Sandstürmen schief geblasenen Songs. Mitunter mit psychobluesartigen Gitarrenriffs versehen, kriechen sie schleppend dahin, schleichen sich ran und wieder weg, hämmern dumpf gegen imaginäre Kellerwände, lärmen abgerissen krautig rum.

Nein, reich und berühmt wird man mit einem Album, auf dem selbst hypnotische Mini-Hits auf erbauliche Melodien pfeifen, nicht. Dafür aber als Hörer nostalgisch, etwa weil man den unlängst verstorbenen Rowland S. Howard („The Birthday Party“, „These Immortal Souls“) vorm geistigen Auge mitspielen sieht, sich an den tollen Früh-80er-Noise Australiens und New Yorks erinnert fühlt und nicht zuletzt an die späten „Swans“. Ganz bestimmt nicht die schlechtesten Referenzen.

■ Sa, 22. 5., 20 Uhr, Indra, Große Freiheit 64