Reif für die Insel

DOKUMENTATION Umzug aufs Meer: Das Seasteading-Institut will die Ozeane mit autonomen, mobilen Gemeinschaften besiedeln – um neue Formen von Gesellschaft auszuprobieren

Der Ozean als Labor für neue politische, rechtliche und soziale Systeme

VON ROBERT MATTHIES

Unproblematischer kann man sich einen Wechsel der Regierung nicht vorstellen: man segelt einfach zur nächsten. Und muss dafür nicht einmal das eigene Haus verlassen. Möglich werden soll das durch „Seasteading“, ein – wie könnte es anders sein – Kofferwort aus Meer und „homesteading“ – Besiedlung, Inbesitznahme: Die Idee, autonome, mobile Gemeinschaften auf schwimmenden Plattformen auf hoher See zu errichten, weitab der von den Regierungen jedweder Nation beanspruchten Gebiete.

Knapp 30 Jahre ist es her, dass Ken Neumeyer in seinem See-Landwirtschafts-Überlebens-Ratgeber „Sailing the Farm: Independence on Thirty Feet“ den Begriff zum ersten Mal verwendet hat: eine Anleitung zum autarken Überleben auf See, vor allem für Abenteuer suchende Weltumsegler bis heute von unschätzbarem Wert: Welche Muschel esse ich morgen?

Hinter Seasteading steckt aber nicht nur heroische Abenteuerlust. Denn der rechtlose Raum auf hoher See hat politische Vorteile. Und die werden längst genutzt. Schon in den 60ern sendete der niederländische Radiosender „Radio Veronica“ von See aus – um die heimischen Werbegesetze zu umgehen. Die ebenfalls niederländischen „Women on Waves“ bieten auf einem Schiff in internationalen Gewässern Abtreibungen und gesundheitliche Versorgung für Frauen an, in deren Ländern der Schwangerschaftsabbruch illegal ist.

Aufgegriffen hat die Idee der permanenten Besiedlung der hohen See Ende der 90er der US-Amerikaner Wayne Gramlich, der in seinem Artikel „Seasteading – Homesteading auf hoher See“ die ersten konkreten Baupläne für den Umzug aufs Meer präsentiert hat: eine kostengünstige schwimmende Insel aus Zwei-Liter-Getränke-Flaschen nebst allen notwendigen Systemen zur Energiegewinnung, Nahrungsproduktion und Wasserfilterung.

Ein paar Jahre später stieß Patri Friedman, der Enkel des liberalen Wirtschafts-Nobelpreisträgers, auf Gramlichs Aufsatz. Und war begeistert. Friedman nämlich hat große Pläne: der Anarchokapitalist fordert ein neues Grenzland, einen Raum, in dem jene, die mit dem Aufbau neuer Formen von Gesellschaft experimentieren, ihre Ideen prüfen können. Der Ozean als innovatives Labor für neue politische, rechtliche und soziale Systeme. Herauskommen soll am Ende aber ein handfestes Ergebnis: eine flexible Form von Staaten aus modularen Einheiten auf hoher See, deren Einwohner sich einer Stadt ihrer Wahl anschließen und zwischen den Staaten wechseln können.

Gramlich und Friedman machen nun gemeinsame Sache, erläutern 2001 in einem im Internet veröffentlichten Buch alle Aspekte der See-Nahme, von der Abfallbeseitigung bis zur Ausflaggung. Vor zwei Jahren gründeten sie schließlich zur Umsetzung ihres gemeinsamen Traums das Seasteading-Institut.

Bislang erfolgreich. „PayPal“-Gründer Peter Thiel investierte noch im ersten Jahr 500.000 US-Dollar, mittlerweile konkretisieren sich die Pläne. Dabei konzentriert sich das Seasteading-Institut zunächst auf drei Bereiche: Der Aufbau einer Gemeinschaft, die Erforschung der technischen und sozialen Möglichkeiten und der Bau des ersten wirklichen „Seasteads“ in der Bucht von San Francisco. Der erste Entwurf dafür ist längst patentiert: Der „ClubStead“ des Beratungsunternehmens Marine Innovation & Technologie bietet Platz für immerhin 200 Menschen.

Morgen Abend stellt Friedman das Seasteading-Institut in Hamburg vor. Im Rahmen des ersten bundesweiten libertären Jahrestreffens „Große Freiheit 01“ findet die Weltpremiere der Doku „The Ephemerisle and Seasteading Documentary“ im Abaton statt. Friedman wird in die Grundzüge seines Projekts einführen. Im Anschluss gibt es Raum für all die Fragen, die die Umsiedlung aufs Meer aufwirft. Sicher ein langer Abend.

■ Fr, 11. 6., 21.15 Uhr, Abaton, Allende-Platz 3