Stadt will Jungen schützen

GEWALT Ein neuartiges Präventions-Projekt will über sexuelle Übergriffe an Jungen aufklären. Die hätten es schwerer, als Opfer wahrgenommen zu werden

„Jungen wird oft vorgeworfen, sich nicht gewehrt zu haben. Auch teilen sie sich viel zu spät mit“

DIRK BANGE, SOZIALBEHÖRDE

Braucht das Thema der sexuellen Gewalt an Jungen besondere Aufmerksamkeit? Ja, sagt der Sozialpädagoge Rainer Ulfers – und stellte am Freitag das Projekt Basis-Praevent vor. Es ist das erste Hilfsprojekt in Hamburg, das ausdrücklich Jungen vor sexueller Gewalt schützen will. Unterschiedliche Studien gehen laut Ulfers davon aus, dass fünf bis zehn Prozent der Jungen bis 16 Jahre mindestens einmal Erfahrung mit sexueller Gewalt gemacht haben.

Anders als bei Mädchen würden sie ihre potenziellen Täter im außerfamiliären Umfeld treffen, im Sportverein, im Internat oder beim Pfadfinder-Treff. Ulfers, der sich bereits seit 20 Jahren um Straßenkinder und männliche Prostituierte kümmert, bietet jetzt mit einem Kollegen genau diesen Institutionen Schulungen an. Sie sollen Betreuer und Leitung für das Problem sensibilisieren. Welche Täterstrategien gibt es? Wie gehe ich mit Verdachtsfällen um? Können Vorsichtsmaßnahmen ergriffen werden?

Getrennte Duschzeiten zwischen Betreuern und Jungen könnten beispielsweise helfen, sagt Ulfers, oder ein Verbot von teuren Geschenken. „Fatal wäre dennoch, generelles Misstrauen zu verbreiten.“ Es dürfe nicht darum gehen, Betreuern eine tröstende Umarmung zu untersagen, wenn ein Junge weint.

Das Phänomen der so genannten offenen Wohnungen, in denen Täter ihre potenziellen Opfer mit Spielekonsolen und Zigaretten anlocken, kennt Ulfers auch in Hamburg. Er warnt jedoch ausdrücklich davor, ein Label zu kreieren. „Der Täter versucht sein Opfer immer mit attraktiven Angeboten zu ködern“, sagt er. Sexuelle Übergriffe im öffentlichen Raum passierten nie ad hoc. Umso wichtiger sei die präventive Arbeit.

Das Projekt, das seit September vergangenen Jahres läuft, ist ein Angebot des Trägers Basis & Woge e.V. und wird finanziert von der Stiftung Deutsche Jugendmarke, der Hamburger Sozialbehörde sowie Tronc-Mitteln der Bürgerschaft, die die GAL-Fraktion beantragte hatte. Insgesamt 190.000 Euro wurden für die bewilligten zwei Jahre bereit gestellt. Für die Arbeit auf der Straße reichen die Ressourcen bisher nicht aus.

Dirk Bange, Leiter der Abteilung Familie und Kindertagesbetreuung der Sozialbehörde, sagt, dass Jungen es bedeutend schwerer haben mit ihrer Rolle als Opfer. „Ihnen wird oft vorgeworfen, sich nicht gewehrt zu haben.“ Nach einer Erektion fühlten sie sich zudem schuldiger und hätten Angst, schwul zu sein. „Jungen teilen sich deshalb viel zu spät mit, wenn überhaupt.“ Die Opfer kämen aus allen Schichten, aus wohlhabenden Anwaltsfamilien genauso wie aus dem sozial schwachen Milieu. Doch eins hätten alle Jungen gemeinsam: Sie seien emotional vernachlässigt. EMILIA SMECHOWSKI