„Eine politische Utopie“

Ein Gespräch will für Europa begeistern

■ 38, ist Politikredakteur bei der Wochenzeitung Die Zeit. Bis 2010 war er als Europakorrespondent in Brüssel tätig.

taz: Herr Bittner, warum sollen sich junge Menschen ausgerechnet jetzt für Europa begeistern?

Jochen Bittner: In Europa werden Entscheidungen getroffen, die tief in die nationale Politik hineinreichen. Brüssel kümmert sich auch um Kernbereiche staatlicher Souveränität, also: Was dürfen Staaten noch ausgeben, wie sollen sie wirtschaften.

Das klingt abstrakt – und ist vielleicht auch ein Grund, warum die Begeisterung abnimmt.

Einfach formuliert: Das griechische Parlament bestimmt darüber mit, wie sich künftige Generationen in Deutschland verschulden müssen. Denn sie müssen für griechische Verbindlichkeiten haften. Wir sind durch die Währung Euro eine Schicksalsgemeinschaft geworden.

Hat Europa etwas falsch gemacht, dass man es jetzt „vermitteln“ muss?

Europa hat zu viel künstliche Harmonie produziert und zu viele Konflikte verdrängt, die es auf offener Bühne hätte ausfechten müssen. Die Europäer haben in den letzten 40 Jahren politisch aneinander vorbeigelebt.

Die Europäische Union befindet sich mitten in der Währungskrise – gibt es irgendwann ein Europa ohne den Euro?

Wenn es jetzt nicht gelingt, die Währungsunion so zu zimmern, wie sie anfangs geplant war, kann ich mir vorstellen, dass dieser Währungsraum scheitert.

Und wie, bitte, soll man sich bei diesen Aussichten begeistern?

Die Chancen, die der Euro bietet, werden nicht mehr gesehen. Der Euro wurde als Idee unehrlich verkauft. Zu viele Unterschiede wurden verdeckt im Dienste einer politischen Utopie, des vereinten Europas. Man kann auch für einen Neustart begeistern. INTERVIEW: MME

Diskussion „Europa vermitteln“ mit Jochen Bittner (Die Zeit) und Almut Möller (Leiterin des Alfred-Oppenheim-Zentrums für Europäische Zukunftsfragen): 19 Uhr, Körber-Forum, Kehrwieder 12