HAMBURGER SZENE VON DANIEL WIESE
: Verfickter Schiri

Der Schrei klang, als käme er von einem Menschen in höchster Not, die Stimme, die ihn ausstieß, war hoch und schrill

Nett sind die Jungs von dem kleinen italienischen Imbiss im Mercado eigentlich immer, aber diesmal waren sie noch netter als sonst. „Hey, schön dich zu sehen, wie geht’s dir?“ – „Ähm, gut, danke, und euch?“ Auf diese Frage schien mein Gegenüber gewartet zu haben. Er trat einen Schritt zurück, sein Gesichtsausdruck wurde ernst. „Das sehen wir heute Abend.“

Heute Abend, heute Abend. Auf der Titelseite der Mopo war irgendwas mit Pizza gewesen, es ging um Italien. Natürlich, die Fußball-EM! Italien gegen Deutschland! Ich packte die Nudeln ein und sagte dem Verkäufer, meiner Meinung nach sei Italien leicht favorisiert. „Ist ja nur ein Spiel“, sagt er, in seinem Lächeln war Mitleid.

Abends tranken wir Cocktails auf unserem Hinterhofbalkon und es herrschte gespenstische Stille. Kein „Toooor!!!“-Gebrüll wie sonst, wenn Deutschland spielt, nicht mal ein Aufseufzen oder Stöhnen. „Spielen die wirklich?“, fragte meine Mitbewohnerin und schaute auf ihrem Handy nach. 2:0 für Italien. In der ferne hörten wir Böller, ein Schiff tutete.

Plötzlich riss irgendjemand ein Fenster auf, und ein Schrei ertönte. Der Schrei klang, als käme er von einem Menschen in höchster Not, die Stimme, die ihn ausstieß, war hoch und schrill, vielleicht gehörte sie einem Jungen, vielleicht einer Frau, die einen hysterischen Anfall hatte. „Verfickter Schiri!!!“, rief die Stimme, und bald war das Spiel dann ja auch aus.