ALLE SIND GESPANNT, OB DIE DEUTSCHEN SPIELER DIESMAL SINGEN. UNSRE HYMNE
: Vom Singen

ROGER REPPLINGER

In diesen Tagen wird übers Singen geredet. Die Pussy Riots singen und müssen dafür in den Knast. Unsere Nationalspieler singen nicht und verlieren deshalb jedes wichtige Spiel. Die Welt ist einfach. Das ist toll.

Wir sitzen im Frankfurter Stadion, das nach einer Bank heißt, und die Zeremonie, die vor Länderspielen abläuft, auch vor dem gegen Argentinien, hat begonnen. Weiß gekleidete Jungens und Mädchen stehen in viereckiger Formation um die deutsche und um die argentinische Fahne herum, die auf dem Rasen liegen. Die Hände auf dem Rücken, gucken die Kinder gesenkten Haupts auf die Fahnen wie in ein Grab, in dem der gefallene Kamerad liegt.

Das Bild, das uns vorgeführt wird, ist ein militärisches. Die Kapelle spielt nicht „Ich hatt’ einen Kameraden“, die Kapelle ist noch nicht da, aber das Bild stellt dieses Lied dar. Die Verbindung von Sport und Militär gibt es in Deutschland seit 150 Jahren. Die Kinder sind in Reih und Glied um die Fahnen herum gelaufen, alle gleich gekleidet, ich glaube, sie haben verschiedene Hautfarben. Das lieben sie beim Deutschen Fußball-Bund. Das Präzise. Die Massenszene.

Wenn wir schon verschiedene Geschlechter und Hautfarben hier, also, wie soll ich sagen, mischen, nein, nicht mischen, in weiße Trikots stecken, dann muss alles wenigstens ganz präzise ablaufen. Immer noch haben die Kinder die Hände auf dem Rücken. Dann packen sie die Fahnen und erwecken sie zum Leben. Jubel. Nun wölben sich die Fahnen hoch und runter, es fehlt nur noch, dass jemand vom Himmel in die Fahnen springt wie in ein Sprungtuch.

Wer hat die Abschlussfeier der Olympischen Spiele gesehen? Das war definitiv anderes. Wir warten auf den Führer. Nein. Auf Hindenburg, den greisen Feldmarschall. Wieder falsch! Auf die Mannschaften! Da sind sie. Alle sind gespannt, ob die deutschen Spieler diesmal singen. Unsre Hymne. Auch die mit Migrationshintergrund. Was ist das für ein Wort? Hintergrund! Im Hintergrund sind sie Türken, Ghanaer, Polen, Tunesier, im Vordergrund der Bühne tun sie, als seien sie Deutsche, wie Schauspieler so tun, als seien sie Hamlet, Mackie Messer oder Siegfried.

Die deutschnationale Bild hat die Spieler mit „Migrationshintergrund“ angerempelt, die bei der EM vor der Partie gegen die aus voller Brust singenden Italiener geschwiegen und dann verloren haben. „Memmen“, haben die Feldwebel bei Bild gebrüllt. Bundestrainer Joachim Löw hat einen kausalen Zusammenhang zwischen Singen und Siegen verneint. Und erklärt, dass die Spieler selbst entscheiden, ob sie singen oder nicht.

„Die singen wieder nicht“, stellt mein Nachbar auf der Pressetribüne fest. Das einzige, was bei der Zeremonie vor dem Spiel mit sozialer Wirklichkeit zu tun hat, ist, dass einige Spieler singen, andere nicht, und sie dann zusammen Fußball spielen. War für den jungen Mann neben mir zu viel Wirklichkeit. Vom Spiel hab’ ich wenig mitbekommen, wir mussten streiten.