Ein Blick hinter die Kulissen

Staatschefs sollten die Spiele in Peking besuchen – und die Menschenrechte nicht vergessen. Von TENG BIAO

Wer in den USA die Regierung kritisiert, muss, anders als in China, keine Angst haben, dafür verhaftet zu werden

Die vielen Besucher, die jetzt wegen der Olympischen Spiele in Peking sind, sollten sich ebenso wie die Millionen Fernsehzuschauer weltweit nicht von dem Glanz blenden lassen, den die Regierung inszeniert. An der gigantischen Eröffnungsfeier kritisiere ich die gleichförmige Inszenierung so vieler Menschen. Die Individualität und Kreativität jedes einzelnen Beteiligten blieb dabei auf der Strecke. Und war es wirklich nötig, so viel Geld dafür auszugeben?

Wir haben doch andere Probleme. Ein großes Problem sind die anhaltenden Menschenrechtsverletzungen, vor allem die Einschränkung der Meinungs- und Informationsfreiheit. Deshalb sollten Besucher und Fernsehzuschauer unbedingt auch hinter die olympischen Kulissen schauen.

Täglich ruft mich das Amt für öffentliche Sicherheit an und ermahnt mich, nicht mit ausländischen Journalisten zu sprechen. Doch ich gebe zurzeit viele Interviews. Denn das ist mein gutes Recht als chinesischer Bürger. Ich würde auch gern mit chinesischen Journalisten sprechen, die meine Äußerungen nicht mehr zu veröffentlichen wagen. Aber auch die Gespräche mit den Ausländern sind nützlich. Denn darüber gelangen Informationen in die Welt. Und das wird zu einer Verbesserung der Lage beitragen.

Am vergangenen Freitag, als die Spiele feierlich eröffnet wurden, ist mir wieder den ganzen Tag ein Wagen der Staatssicherheit gefolgt. Die Zeit der olympischen Spiele ist für uns Aktivisten mit vielen Schikanen verbunden. Ich bin diese Art der Überwachung inzwischen gewohnt. Im März und Juni dieses Jahres bin ich zweimal von der Staatssicherheit kurzzeitig verschleppt worden. Beim zweiten Mal, damit ich keine US-Kongressabgeordneten treffen kann, die gerade in Peking waren.

Ich lasse mich trotz der Risiken nicht einschüchtern. Auch andere wie Zeng Jinyan nicht. Sie steht ebenfalls unter Überwachung und ist die Ehefrau meines inhaftierten Freundes Hu Jia. Von ihr fehlt schon seit Tagen jede Spur. Sie ist vermutlich mit ihrem Kind aus der Stadt verschleppt worden, damit sie nicht auf das Schicksal ihres Mannes aufmerksam machen kann. Solche Fälle sollten international wahrgenommen und angesprochen werden.

Entscheidend bei der Bewertung der Spiele ist für mich die Frage, was dabei den Menschenrechten nützt. Viele Staats- und Regierungschefs sind zur Eröffnung gekommen. Das ist okay für mich, solange sie das Thema Menschenrechte ansprechen – sowohl mit stiller Diplomatie wie mit öffentlicher Kritik. Beides hilft und beides ist nötig. Wichtig ist, dass das Thema Menschenrechte nicht verschwiegen wird, sondern sich aktiv dafür eingesetzt wird.

Manche fragen, wie US-Präsident George W. Bush glaubwürdig Chinas Regierung für Menschenrechtsverletzungen kritisieren kann, wo er das Gefangenenlager Guantánamo und Abu Ghraib zu verantworten hat. Auch die USA haben Probleme mit den Menschenrechten. Es gibt kaum ein Land ohne Menschenrechtsverletzungen. Aber wer in den USA die Regierung kritisiert, muss keine Angst haben, dafür verhaftet zu werden.

Dort ist die Redefreiheit von der Verfassung geschützt. In China ist das nicht der Fall. Die Situation der Menschenrechte in China ist viel schlimmer als in den USA. Auch jetzt während der Spiele sind Dutzende Journalisten und Autoren wegen kritischer Artikel im Gefängnis. Deshalb ist die Kritik an China so berechtigt wie notwendig.

Die chinesische Bevölkerung braucht auf ihrem Weg hin zu einer liberalen Demokratie die weitere Aufmerksamkeit und Unterstützung der internationalen Gemeinschaft. Dabei ist klar, dass ein besseres politisches System von den Aktionen, Gedanken und Entscheidungen der Chinesen selbst abhängt.

Teng Biao, 34, ist Anwalt und Juradozent in Peking. Ende Mai wurde seine Anwaltslizenz nicht verlängert