Qualvoller Weg auf das Siegerpodest : Das Goldkind

Die Chinesin He Kexin gewinnt am Stufenbarren Gold. Diskutiert wird, ob sie 16 Jahre alt ist - wie vorgeschrieben. Eigentlich egal. Alle Profiturnerinnen wurden als Kinder geschunden.

Die Chinesin He Kexin bekommt für ihre Kür am Stufenbarren Gold. Bild: dpa

PEKING taz Es war die perfekte Kür. Eine bis dahin unbekannte Rumänin turnte bei den Olympischen Spielen 1976 am Stufenbarren so gut, dass ihr Name bis heute in der Sportwelt strahlt. Nadia Comaneci gilt als die perfekte Turnerin des letzten Jahrhunderts. Sie war 14, als sie in Montreal nachhaltig beeindruckt hat. Ein Kind. Eine 14-Jährige dürfte heutzutage gar nicht mehr an den Start gehen bei internationalen Wettbewerben.

Um zu verhindern, dass Kinderkörper allzu sehr für das Turnen geschunden werden, hat der Internationale Turnverband (FIG) das Mindestalter auf 16 Jahre heraufgesetzt. Biegsame Kinderkörper sind dennoch nicht von den Matten verschwunden. Die chinesische Turnriege sieht sich derzeit dem Verdacht ausgesetzt, die Pässe von mindestens zwei Athletinnen gefälscht zu haben. Eine von ihnen ist He Kexin. Sie ist 1,42 Meter groß und 33 Kilo leicht. Geboren wurde sie am 1. Januar 1992 - angeblich. Seit gestern ist sie Olympiasiegerin am Stufenbarren.

Die amerikanische Turnriege hat die Altersfrage zum Thema bei den Spielen gemacht. Vor dem Mannschaftswettbewerb in Peking hatte Liang Chow, der Trainer der US-Mannschaft, von der "großen Schlacht" mit den Chinesen gesprochen, vom Kampf der Systeme. Die Schlacht an den Geräten ist verloren gegangen. Die Amerikaner wollen nun aber beweisen, dass die Chinesen getrickst haben. Belegen wollen sie den Betrug mit Startlisten von Provinzspielen in China. Die Nachrichtenagentur Xinhua hatte das Ergebnis nebst Geburtsdatum veröffentlicht. Demnach wäre He erst 13. Die US-Funktionäre führen den Kampf ein wenig entspannter, seit die US-Turnerin Nastia Liukin Gold im Mehrkampf gewonnen hat. Mit ihren 18 Jahren gilt sie schon als Gegenentwurf zu den chinesischen Kinderstars. Ihre Körpergröße von 1,60 Metern macht sie beinahe zur Riesin im Feld der Turnzwerglein.

Das Mädchenturnen ist durch die Verschiebung der Altersgrenze nach oben noch lange nicht zum Frauenturnen geworden. Denn kaum eine hält man tatsächlich für 16. Die deutsche Nachwuchshoffnung Joeline Möbius, 16, ist 1,53 Meter groß und wiegt 42 Kilo. Sie sieht aus wie eine 12-Jährige. Seit frühester Kindheit trainiert sie sechs Stunden am Tag. Das Training selbst ist es, das die Turnerin klein hält. Steffen Gödicke, Trainer an der Berliner Turntalentschule, sagte jüngst der taz: "Natürlich ist das Wachstum durch das Krafttraining retardiert." Eine seiner Athletinnen ist Natalie Wecker. Die 13-jährige Tochter des deutschen Reckolympiasiegers von 1996, Andreas Wecker, hat in ihrem Sportinternat eine 70-Stunden-Woche. Ob Turntrainer Gödicke wirklich recht hat und das Wachstum nur aufgeschoben ist? Wenn Joeline Möbius Glück hat, wird aus ihrer Kinderfigur noch ein Frauenkörper - nach Beendigung ihrer Karriere.

Das US-Team beklagt eine Regelverletzung der Chinesen. Dass alle Turnerinnen, die das olympische Niveau erreichen, als Kinder geschunden werden, wird nicht angeprangert. Bela Karoly, der ehemalige Trainer von Turnkind Nadia Comaneci und später US-Coach, regte sich am lautesten auf in diesen Tagen: "Wir alle haben Kinder, wir wissen doch, dass eine 16-Jährige nicht wie sieben aussieht." Wie Shawn Johnson aus den USA? Die Silbermedaillengewinnerin im Mehrkampf steckt mit ihren 16 Jahren in einem 41 Kilogramm leichten Körper. Kaum Busen, kaum Hintern. Nichts, was bei den Salti, Überschlägen und Flickflacks für entscheidende Unwuchten sorgen könnte. Ein Traumkörper - für einen Turntrainer. Als sie 13 war, hat sie so hart gearbeitet wie heute.

Der Trainer der Chinesen, Lu Shanzhen, freut sich, dass der Mannschaftserfolg noch mehr Mädchen für den Turnsport motivieren wird. "Der Wettbewerb hat gezeigt, wie lebendig und leidenschaftlich das Turnen ist." Kritische Töne waren von ihm nicht zu erwarten. In der Altersdiskussion verweisen die Chinesen auf die gültigen Pässe der Turnerinnen. Die fundamentalen Bedenkenträger sind in der Minderheit. Die Initiative des Deutschen Turnerbundes, der 1996 vorschlug, die Altersgrenze auf 18 Jahre anzuheben, hätte heute nach wie vor keine Chance unter den FIG-Verbänden.

He Kexin verließ gestern in einem für sie viel zu großen Trainingsanzug die Halle. Hinter ihr marschierte Nastia Liukin. Sie hatte genauso gut geturnt wie He (16,725 Punkte). Nach der Tie-Break-Regel, bei der einzelne Übungsteile abgewogen werden, wurde sie Zweite. Um ein Haar hätte eine Erwachsene das Finale am Stufenbarren gewonnen. Die Kinderschinderei geht weiter. So oder so.

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