Es hat sich ausgeschmettert

VOLLEYBALL Während Russland das polnische Team im vorgezogenen Endspiel düpiert, gehen die Deutschen gegen Bulgarien unter – und fügen sich in ihr Schicksal, hierzulande nur eine Orchideendisziplin zu sein

„Wenn wir so klar verlieren, dann kann ich den Spielern wenigstens sagen, was sie besser machen können“

DVV-COACH VITAL HEYNEN

AUS LONDON ANDREAS RÜTTENAUER

Die riesige Volleyball-Arena, die die Londoner Olympiamacher in die Ausstellungshalle Earl’s Court gebaut haben, bebte. Es herrschte eine giftige Atmosphäre beim Viertelfinalspiel der Polen gegen Russland. Mehrere tausend Polen machten jede Menge Lärm im Duell der Erzrivalen, das für viele ein vorgezogenes Endspiel war. Weltliga-Champion Polen unterlag klar mit 0:3 gegen die Russen, die fast immer den zweiten Platz gewonnen haben bei den großen Ereignissen der vergangenen Jahre. Nun scheinen sie reif zu sein für den großen Titel. Schnell wurde es ruhig in der 14.000-Zuschauer-Arena.

In Polen, wo seit dem Olympiasieg 1976 Volleyball der am meisten gefeierte Mannschaftssport ist, sprach man hinterher viel vom Druck, an dem das Team gescheitert ist. „Wir haben viele junge Spieler in der Mannschaft, die noch nie bei Olympischen Spielen dabei waren, vielleicht lag’s daran“, sagte der polnische Trainer Andrea Anatasi.

Schichtwechsel. Hunderte bulgarische Basketballfans warteten vor der Halle auf das Ende des polnischen Auftritts und hofften darauf, für das Abschlussmatch des Tages noch eine Karte von einem polnischen Fan übernehmen zu können. Sie wollten unbedingt erleben, wie ihr Team, das seine Vorrundengruppe mit Siegen über Italien und Polen dominiert hatte, gegen die deutsche Auswahl ins Halbfinale stürmt. Das taten sie dann auch. Mit 3:0 (25:20, 25:16, 25:14) und einem überragenden Diagonalangreifer Tswetan Sokolow rasten sie in die Vorschlussrunde. Sie veranstalteten mit ihren Fans kurz vor Mitternacht noch eine veritable Party.

Für die deutsche Mannschaft interessierte sich da längst keiner mehr. Eine Handvoll Zuschauer hatte zuvor vergeblich versucht, ein wenig Lärm zu machen, wenn die Deutschen mal einen Punkt gewonnen hatten. Für die einzigen Hallenballsportler aus Deutschland, die sich für Olympia qualifizieren konnten, interessieren sich nur die wenigsten schwarz-rot-goldenen Olympiatouristen. Nach der deprimierenden Niederlage meinte Mittelblocker Max Günthör, dass es daran gewiss nicht gelegen hat. „In der Weltliga haben wir in Frankfurt gegen Bulgarien gespielt, das war auch wie ein Auswärtsspiel“, sagte er.

Volleyball ist in Deutschland nach wie vor eine Orchideendisziplin. Auch der belgische Trainer der Deutschen, Vital Heynen, schwärmte nach dem Spiel von der „angenehmen Volleyballkultur“ in Polen und Bulgarien. Als er und seine Frau einmal durch Bulgarien gefahren seien, da haben sie gestaunt: „Da haben sich zwei ältere Frauen um die 70 unterhalten und die kannten jeden Nationalspieler mit Namen.“

Auch die besten deutschen Volleyballspieler sind im Ausland, wo sie als Profis besser verdienen können, oft bekannter als in ihrer Heimat. Hier hat nur der wuchtige Angreifer György Grozer einen Namen. Er wird gern als Hammerschorsch bezeichnet, dabei hat er es wirklich nicht verdient, den gleichen Spitznamen zu tragen wie der in den 1970ern mäßig talentierte Münchner Berufsboxer und Erotik-Club-Betreiber Georg Steinherr. Immerhin hat er einen Spitznamen. Grozer verdient sein Geld in Russland bei Belogorie Belgorod. Dort wird man beruhigt sein, dass sich Grozer bei Olympia nicht verletzt hat. Wäre ihm etwas passiert, man hätte dem starken 2-Meter-Mann gekündigt. Denn versichert war er nicht. Eine Versicherung wäre teuer gewesen, weil Grozer, seit er im vergangenen Jahr an Durchblutungsstörungen im Schlagarm gelitten hatte, als Risikoklient gilt. Der Deutsche Volleyball-Verband weigerte sich, die Versicherung für Grozer zu zahlen. Die gut verdienenden Profis könnten das ruhig selbst machen, so die Meinung des Verbands. Grozer, dessen Punkte die DVV-Auswahl erst nach London gebracht hatten, sprach von mangelndem Respekt.

Nach der Pleite gegen Bulgarien stand Grozer ratlos in der Interviewzone. Der ganze Spaß, mit dem er zum Turnier angereist war, war verflogen. Er gab zu, sehr nervös gewesen zu sein, dass er wie die anderen in der Mannschaft zu schnell nur noch an sich gedacht habe, daran, die eigenen Fehler auszubügeln. „Dann kommt kein Mannschaftsspiel zustande“, sagte er. Aus seiner Enttäuschung machte er keinen Hehl. Dabei gewesen zu sein, reicht einem wie Grozer nicht. Er will mehr als einen fünften Platz bei Olympia.

Trainer Heynen war der Einzige an diesem Abend, der in der Pleite auch etwas Positives sah. „Wenn wir so klar verlieren, dann kann ich den Spielern wenigstens sagen, was sie besser machen können.“