ALICE, ALTE PUFFMUTTER!

VON SILKE BURMESTER Wer wissen will, was die Ikone der deutschen Frauenbewegung eigentlich den ganzen Tag macht: Uns liegt eine E-Mail ihrer Assistentin vor

Liebe Mutti,

ich maile dir schnell ein paar Zeilen, anrufen ist schlecht, weil ich nie genau weiß, wann Alice wiederauftaucht. Du fragst, wie der neue Job ist. Ehrlich gesagt, ich habe ihn mir etwas anspruchsvoller vorgestellt, aber Assistentin von Frau Schwarzer zu sein heißt vor allem, am Telefon zu sitzen und Botengänge zu machen. Es fängt damit an, dass ich morgens zwei Mettwurstbrötchen besorgen muss, ohne Zwiebeln und ganz wichtig: Oberhälften. Sonst ist der erste Anpfiff da.

Morgens telefoniert sie zumeist, ich bekomme die Anrufe dann am Ende durchgestellt, um die Termine zu machen. Diese Woche waren das: „Oldies Ratebude“ beim SWR, „Tiersprechstunde“ beim MDR und eine Radiosendung zum Thema „Das Justizopfer im Wandel der Zeit – brauchen Frauen eine weibliche Sicht?“ Auch wird sie ständig als Zeitzeugin zu solchen „Das war Ihr Leben!“-Sendungen eingeladen, gerade gestern wieder – wegen Dagmar Berghoffs Achtzigstem. Da muss ich dann im Onlineshop von Gudrun Sjödén was Schickes raussuchen und ihr vorlegen. Weil das aber so nach Claudia Roth aussah, sollte ich bei Annette Görtz schauen, die macht so teure Zeltmode, aber die Zelte in ihrer Größe waren alle schon weg. Ich denke ja, bei Peter Hahn würde sie eher was finden, aber bei einem Mann will sie nicht bestellen. Da würde das Prinzip „Versand“ als patriarchales Kapitalismuskonstrukt vor dem Hintergrund der Ausnutzung weiblicher Entscheidungsschwäche missbraucht.

Manchmal ist es für mich natürlich auch ganz spannend. Etwa wenn so große Namen direkt anrufen. Neulich hatte ich Giovanni di Lorenzo am Apparat und Heide Simonis. Natürlich stelle ich die dann gleich durch und rede nicht lang mit denen. Aber aufregend ist das schon. Vor allem vorgestern, da rief Alfred Biolek an und dachte wohl, er hätte Alice dran: „Na, du alte Puffmutter, gehste mal wieder mit mir essen?“ Da musste ich ihn darauf hinweisen, dass „die alte Puffmutter“ gar nicht dran war. Ich konnte förmlich hören, wie der rot wurde!

Heute Nachmittag hat sie einen Termin mit jemandem von der Bild-Chefredaktion. Im Frühjahr kommt ein Katzenkrimi von ihr raus, und die Bild soll das groß bringen. Schließlich war sie ja deren exklusive Kachelmann-Prozess-Beobachterin. Dafür, so der Deal, ist sie bei der nächsten Bild-Werbekampagne wieder dabei und dreht bei der „Ein Herz für Kinder“-Gala das Glücksrad. Ich finde es unbegreiflich, dass sie sich auf dieses Sex-und-Crime-Blatt einlässt. Als ich sagte: „Das war doch mal dein Gegner!“, sagte sie: „It’s the economy, stupid! Du glaubst doch nicht, dass eine große Klappe reicht, um sich oben zu halten!“ Aber sie hat mir versprochen, mich mal mitzunehmen, wenn sie zu einem Entrepreneur-Treffen oder zur Bambi-Verleihung geht. Damit ich lerne, wie man sich in diesen Kreisen bewegt.

Leider liegt auf meinem Tisch für heute noch etwas, das ich besonders doof finde: Ich muss Hefte wie Bunte und Frauenpost durchschauen, ob sie drin ist. Einen Pressespiegel erstellen, so nennt man das. Ich hasse es. Da ist es mir schon lieber, ihr Blog auf Kommafehler zu überprüfen. Wobei mich schon wundert, wie jemand so eitel sein kann. Sie schreibt tatsächlich Sachen wie: „Ein Blick ins Bücherregal oder Internet genügt ja. Und da ist zu sehen: Wohl kaum eine Autorin hat seit 40 Jahren ein so breites Themenspektrum wie ich …“

Immerhin erscheint die Emma jetzt wieder alle zwei Monate. Das finde ich super, denn ich möchte hier ja möglichst viel mitnehmen – und immer nur zu sehen, wie sie erschöpft aus Rateshows zurückkommt, bringt mir ja nicht viel. Da ist es mir lieber, wenn ich auch mal was von den Inhalten mitbekomme. Was ich hoffentlich tun werde.

Wegen meiner Jobbeschreibung werde ich wohl noch mal mit ihr reden müssen. Nächste Woche ist sie mit drei Freundinnen zur Badekur in Bad Füssing. Da soll ich nach ihren Nymphensittichen „Gertrude“ und „Frau Toklas“ gucken, aber ich finde, das geht nun echt zu weit.

So, Mutti, ich muss jetzt aufhören. Die Arbeit ruft! Angebote für Torten einholen. Am 3. Dezember wird sie 70. Das soll natürlich gefeiert werden!

Alles Liebe aus Köln, Dein Töchterchen

Silke Burmester, freie Journalistin in Hamburg und taz-Kolumnistin als „Kriegsreporterin“, ist natural born feminist und möchte Kristina Schröder eine Rakete in ihren Flexi-Popo schieben. Männer, die Eisenbahnen fotografieren, bereiten ihr Unbehagen.