Das steht dem Prolet

SCHÖPFER Die Designer des Elektronikherstellers Medion sind die wahren Herrscher der Massen. Denn sie bestimmen, wie die Computer fürs Volk aussehen. Eine Reise ins Hirn der Finsternis

Wir sind nicht Guru, wir sind Working Class Hero. Wir designen für die Menschen da draußen

VON ENRICO IPPOLITO

Der deutsche Computer- und Elektronikhersteller Medion entwirft für jedermann. Seine Produkte werden vor allem bei Aldi und anderen großen Kaufhäusern vertrieben. Sie sind Populärkultur. Wir wollten gerne wisen: Hat Medion eine eigene Designabteilung? Was denken die sich so bei dem, was sie entwerfen? Müssen die Produkte immer günstig und robust sein? Gibt es Schönheit? Auf entsprechende Anfragen der taz kam vom Konzern aus Essen allerdings keine Antwort. Also mussten wir uns in das Hirn eines Medion-Produktiondesigners versetzen. Ein Bewusstseinsstrom

Medion Akoya® P6812

Abgerundete Kanten? Moderner Schnickschnack – ohne jegliche Funktion. Braucht kein Mensch. Während alle zu Apple pilgern, um weiße oder silberne Laptops zu kaufen, bleiben wir dabei: Ein Notebook ist ein Kasten. Ein robuster Kasten. Mit vielen, vielen Features. Klar ist der dann schwer. Wer zur Hölle trägt es denn auch mit sich rum? Wir designen nicht für die „digitale Boheme“. Wer ist das überhaupt? Wir sind nicht Guru, wir sind Working Class Hero. Wir designen für die Menschen da draußen.

Die Lüftungsschächte bleiben natürlich sichtbar. Transparenz ist doch das aktuelle Ding! Ich sag nur: Waschbeton am Bundeskanzleramt. Wir haben nichts zu verbergen. Außerdem muss die Luft ja irgendwie raus.

Aber ein bisschen was Spielerisches sollte man dieser Roughness und Toughness vielleicht noch entgegensetzen. Die Oberfläche könnte zum Beispiel glänzen. HipHop, innen rau und außen Bling-Bling. Das wär es doch. Vermarktet sich viel besser. Ich sehe es schon vor meinem inneren Auge. „Elegantes Hochglanzdesign“. Großartige Idee! Soll noch irgendwer behaupten, wir hätten keinen Anspruch beim Design. Der Schriftzug vom Akoya ist so was von designt. Beim A von Akoya fehlt der Strich zwischen den beiden Schenkeln. A wie Avantgarde! Bis die Chefs das kapiert haben, hat es schon Jahre gedauert. Jahre.

Wer braucht schon so ein albernes Logo. Da weiß ja niemand, wie der Computer heißt. Denn das Macbook heißt ja nicht Apfel, sondern eben Macbook. Klar, sind auch wir ein bisschen verrückt. Aber wir sind doch nicht blöd.

Medion Lifetab® P9516

Ja, auch wir können Tablets. Schön und schlank sieht unser Modell aus – wie bei den Großen. Äh … wir sind natürlich selber groß. Und unser Tablet-PC ist natürlich besser: keine Tasten!!! Nur an der Seite. Das ging aber nicht anders. Die Lautstärke muss ja reguliert werden. Wahnsinn, oder? Und nein, nein, es sieht überhaupt nicht wie das iPad aus. Das ist eine infame Lüge. Wie gesagt, wir haben keine einzige Taste. Die von Apple aber schon. Nein, wir sind auch noch nicht von Apple verklagt worden. Wieso auch? Ich sag es noch mal: keine Taste.

Modern, minimalistisch und elegant. Jawohl. Unsere eigene Designabteilung saß Tag und Nacht an dem Konzept. Ja gut, Steve Jobs präsentierte das iPad schon Ende Januar 2010. Und unser erstes Tablet, das Medion Life T9514, kam erst 2011 auf den Markt. Gewisse Ähnlichkeiten … jaaaa. Aber das ist Zufall. Zwei Genies, ein Gedanke, könnte man sagen. Wir haben jedenfalls sehr lange an dem Projekt gearbeitet. Und wir machen nichts nach. Haben wir nicht nötig. Ja, wenn unser Lifetab Tasten hätte, könnte man denken … aber es hat ja keine, nicht mal eine einzige. Nur an der Seite. Gut, oder? Und das ist schon seit unserem ersten Tablet so. Ich sag es mal mit Gott: Und ich sah, dass es gut war.

Medion Life P61006

Wir brauchen Farben! Schwarz reicht nicht! Ein MP3-Player in Pink! Wow. Das wär es doch. Und Weiß! Weiß ist ja immer gut. Geht immer. Das ist so pur. Minimalistisch. Und ist so, wie heißt das Wort noch gleich … Ach ja, Clean! Clean ist das neue Schwarz. Nicht nur sauber, sondern rein. So was wollen die Leute doch.

Und ein großes Display brauchen wir auch. Unbedingt. Das wollen die Movers und Shakers dieser Nation. Einfach. So … intuitiv. Es wäre soooo geil, wenn der MP3-Player keine Tasten hätte. Ach Scheiße! Das dürfen wir nicht machen. Dann verklagt uns Apple. Na gut, also was mit Tasten. Darf aber nicht zu billig wirken. Obwohl? Wieso eigentlich nicht? Ist doch für die Masse.

Große Tasten müssen es sein. Ja. Groß. In zwei Reihen. Aber nicht zu viele, wegen dem Minimalismus. Und das Display muss auch in Farbe sein. Wegen dem Glamour. Und eine Suchfunktion brauchen wir im Menü. Das mögen die Menschen, denn seit der Prolet keine Arbeit mehr hat, googelt der ja den ganzen Tag. Darauf muss man eingehen, das ist total wichtig.

So ein Player muss auch alle möglichen Dateiformate abspielen können. So wie MP3, MWA, DRM 9. Eigentlich müssten wir auch damit werben, dass wir in Deutschland produzieren. In Sömmerda. In Thüringen, Thüüüüringen, David Bowie ist auch schon einmal drübergeflogen. Made in Germany halt. Aber irgendwie soll das keiner wissen. Wieso eigentlich nicht? Die Überlegung, die Produktion aus Kostengründen komplett nach Asien zu verlegen, soll auch vom Tisch sein. Warum? Uns vom Design erzählt natürlich wieder keiner was.

Egal. Was brauchen wir noch? Ach ja, die Ecken müssen abgerundet sein, damit das Ding besser in der Hand liegt. Wie, die haben keine Funktion? Wen interessiert das denn, bitte? Sind wir hier Ästheten oder Anästhesisten? Ergonomisch soll es sein. Aber nicht zu viel. Darf nicht zu Loha aussehen. Sonst bockt der Proll. Aber mal ehrlich, die Idee mit dem Pink. Die ist schon ziemlich geil, oder? Nicht nur geil, die ist gaga. Lady Gaga.