Im Reich der Narcos

MEXIKO Culiacán ist die Wiege des Drogenhandels. Seit über hundert Jahren lebt die Hauptstadt des mexikanischen Bundesstaats Sinaloa von Opium, Marihuana und Kokain. Das prägt die Kultur der ganzen Region: die Mode, die Architektur, selbst den Glauben

■ Der Beginn: Ende 2006 begann der damalige Staatschef Felipe Calderón eine Offensive gegen den Drogenhandel. Während seiner Präsidentschaft gelang es den Sicherheitskräften, etwa zwei Dutzend der 37 meistgesuchten Drogenbosse festzunehmen oder zu töten, aber es kamen bis 2012 mehr als 70.000 Menschen ums Leben.

■ Neue Strategie: Um die Zahl der Gewalttaten zu verringern, kündigte Calderóns Nachfolger Enrique Peña Nieto im Dezember 2012 ein anderes Vorgehen an. Dazu gehören ein Präventionsprogramm und der Aufbau einer neuen Militärpolizei. In der Auseinandersetzung starben seither mehr als 6.000 Menschen.

AUS CULIACÁN TONI KEPPELER

Jesús Malverde wird von der katholischen Kirche als Heiliger nicht anerkannt. Und sollte es ihn je gegeben haben, würde ihn das vermutlich nicht interessieren. Er wird ja von all jenen verehrt, die so sind, wie er gewesen sein soll: von den Ganoven, den Gesetzlosen, von der Unterwelt.

Jesús Malverde, so erzählt die Legende, sei am Heiligen Abend des Jahres 1870 in dem Gehöft Mocorito in der Nähe von Culiacán geboren worden, der Hauptstadt des mexikanischen Bundesstaats Sinaloa. Jung Waise geworden, habe er sich mit Sklavenarbeit auf einem Landgut durchschlagen müssen. Aber er habe aufbegehrt, sei in den Wald gegangen mit einer Pistole, habe reiche Leute überfallen und die Beute an die Armen verteilt. Er sei immer dreister geworden, habe sogar im Palast des Gouverneurs von Culiacán den Tresor aufgebrochen und das Schwert entwendet. Die Häscher des Gouverneurs stellten ihn am 3. Mai des Jahres 1909, im Wald auf dem Weg nach Navolato. Sie erhängten ihn daselbst.

Heute ist Jesús Malverde der Schutzheilige der Drogenhändler, und von denen gibt es sehr viele in Culiacán. Sie kommen in seine Kapelle und beten ihn an, Dutzende an jedem Tag.

Der Wallfahrtsort liegt an einer vierspurigen, viel befahrenen Straße. Er ist unscheinbar und sieht von außen eher wie eine Blumenhalle aus. Grün gestrichene Betonbänke stehen auf dem Bürgersteig; im breiten Schatten des Vordachs liegen auf Tischen Devotionalien: Schlüsselanhänger in der Form eines Kreuzes, mit dem Porträt von Malverde in der Mitte; eine Broschüre mit der Heiligenlegende; Volksmusikplatten mit Balladen über den Helden, Schnittblumen und Kerzen, viele Kerzen.

Hinter dem Eingang liegt ein verwinkeltes Reich aus einem halben Dutzend Sälen. Ein Saal gleicht dem anderen. Ein großes, überladenes Podest mit der immer gleichen Büste: weißes Hemd, schwarzes Halstuch, die schwarzen Haare nach hinten gekämmt, stechende Augen und ein schmaler schwarzer Schnauzbart.

Die Figur ist ein Fantasieprodukt im Disney-Realismus, ein bisschen Pocahontas, ein bisschen Lucky Luke. Dazwischen brennende Kerzen und weiße Lilien. Die Wände sind mit glänzenden Dankesplaketten zugehängt. „Dank an Gott und Malverde für die Wunder, die wir erfahren durften“, schreiben Omar Burgos und Verónica Salas aus Guadalajara/Jalisco. Die Toiletten sind links.

Still steht ein großer Mann vor den Büsten, das Gesicht von der Sonne verbrannt und verknittert. Er ist, wie man so sagt, im besten Alter. Schlohweißes Haar, kräftiger Schnauzbart. Das Hemd rot kariert, der Gürtel der Jeans wird von einem breiten silbernen Koppelschloss gehalten. Cowboystiefel. Den cremefarbenen breitkrempigen Hut setzt er erst draußen wieder auf.

Zwei junge Männer, kaum über 20, mit raspelkurzem Haar und Sonnenbrillen, kommen angeschlendert. Sie tragen lässige Rappermode. Im Schlepptau haben sie eine etwas überschminkte junge Frau in körperbetontem Outfit und auf gefährlich hohen Absätzen. Sie kaufen drei Kerzen und gehen andächtig in die Kapelle.

Ein wuchtiger weißer Hummer mit abgedunkelten Scheiben rollt auf der Straße heran. Er hält an, exakt so, dass man von der Rückbank aus direkt auf den Hauptaltar blicken kann. Niemand steigt aus.

Es mögen drei oder vier Minuten sein, die der Wagen dort steht. Es ist, als hielten die Devotionalienhändler so lange den Atem an. Dann rollt der Hummer wieder an.

Einer der Händler, in Badeschlappen, Jeans und einem T-Shirt mit dem Porträt Malverdes, geht ein paar Schritte abseits und flüstert auffällig in sein Mobiltelefon. Seine Größe passt zu der von Joaquín „El Chapo“ Guzmán, und auch die verträumten Augen erinnern an die wenigen Fotos, die vom reichsten, mächtigsten und meistgesuchten Drogenboss der Welt bekannt sind, dem Chef des Sinaloa-Kartells, einer Großmacht im mexikanischen Drogenkrieg. Die USA haben fünf Millionen Dollar Kopfgeld auf ihn ausgesetzt.

Das wäre doch was: El Chapo verkauft Devotionalien vor der Kapelle von Jesús Malverde. Die perfekte Tarnung!

Wer als Fremder länger verweilt, als es für einen Touristen angemessen wäre, wird misstrauisch angeschwiegen. Aber man muss dort gewesen sein, sagt Élmer Mendoza. Hier könne man wie unter einem Brennglas erleben, was man in Mexiko narcocultura nennt: die Kultur der Drogenmafias.

Alte Männer mit Würde und junge, die ein bisschen zu großspurig sind; Frauen, die schön sind auf ein trashige Art; gepanzerte Limousinen und Volksmusik, die Gewalt verherrlicht; und Kitsch, sehr viel Kitsch. All das seien die Zutaten einer Alltagskultur, die im Drogenmilieu entstanden sei, sich aber weit darüber hinaus verbreitet habe.

Mendoza muss es wissen. Er ist Schriftsteller, der erste von heute vielen Vertretern der sogenannten narcoliteratura. Seine Romane spielen im Milieu der Kartelle, und er beschreibt es so genau, dass man ihm nachsagt, er pflege enge Kontakte.

Wenn er das tut, dann eher nachts. Die Tage verbringt er im staatlichen Kulturzentrum von Sinaloa in einem fensterlosen Büro, voll gestopft mit Büchern. Er ist zuständig für ein Programm, mit dem Kinder ans Lesen herangeführt werden sollen. Seine Bücher sind dafür nicht geeignet – nicht jugendfrei.

Die Straßen in seinen Romanen sind gepflastert mit Leichen, bisweilen wird einer schönen Frau nach dem Akt die Brustwarze abgeschnitten und als Talisman in die Jackentasche gesteckt.

Derartige Fantasien traut man dem 63-Jährigen nicht zu. Der grau melierte Vollbart ist gepflegt, die lustigen Augen blicken durch eine Brille mit dünnem Metallgestell. Er erzählt gerne Anekdoten. Kichernd.

Besonders gern schildert er den Auftritt von El Chapo in Culiacáns Nobelrestaurant Las Palmas im November 2005. 15 Leibwächter seien gekommen, hätten die Gäste freundlich gebeten, sitzen zu bleiben und nur die Mobiltelefone nicht zu benutzen. Dann sei der kleine Mann hereingekommen und habe alle an den Tischen mit Handschlag begrüßt: „Ich bin Joaquín Guzmán, freut mich, Sie zu treffen. Zu Ihren Diensten.“ Er habe sich gesetzt und Rinderhüfte mit Shrimps bestellt.

Als er sich wieder erhob, habe er sich für etwaige Unannehmlichkeiten entschuldigt und noch bemerkt: „Ihre Rechnungen sind beglichen.“

Ob die Anekdote erfunden ist oder wahr – da will sich Mendoza nicht festlegen. Abgeschnittene Brustwarzen dagegen müsse man nicht erfinden. Sondern nur die Lokalblätter lesen.

Denn in Culiacán, dieser 600.000-Einwohner-Stadt ohne jegliche Attraktion in der schmalen pazifischen Küstenebene am Fuße der Sierra Madre, ist schon seit über einem Jahrhundert der illegale Drogenhandel die weitaus wichtigste wirtschaftliche Aktivität, zusammen mit dem Waschen des damit verdienten Geldes.

Am Anfang war das Opium. Die Chroniken berichten 1886 zum ersten Mal von Schlafmohnfeldern in Sinaloa. Sie kamen zugleich mit der Eisenbahn, die von der pazifischen Hafenstadt Mazatlán über Culiacán in den Norden gebaut wurde. Die Chinesen, die die Gleise legten, brachten den Samen der Blume mit und stellten schnell fest, dass der karge Boden in der Sierra Madre optimal war. Und weil nicht nur sie, sondern auch ihre Landsleute in New York sich nach harter Arbeit mit einem Pfeifchen entspannten, entstanden erste Wege des Drogenschmuggels in die USA.

In den 30er Jahren verdrängten Mexikaner die Chinesen aus dem Opiumgeschäft, gerade rechtzeitig vor dem ersten großen Drogenboom. Während des Zweiten Weltkriegs stieg die Nachfrage in den Vereinigten Staaten stark. Inzwischen veröffentlichte Geheimpapiere der US-Armee legen nahe, dass mit Opium und Heroin aus Mexiko schmerzgeplagte Kriegsverletzte versorgt wurden.

In den 60er Jahren kam die damalige Modedroge Marihuana mit ins Angebot. Auch diese Pflanze wächst in der Sierra Madre ausgezeichnet. Nur für Kokasträucher ist es zu trocken. Doch die kolumbianischen Kartelle, die den Kokainmarkt dominierten, suchten sich in Culiacán Geschäftspartner und nutzten die in Jahrzehnten ausgebauten Schmuggelrouten in die USA.

Seit die Großkartelle von Medellín und Cali in den 90er-Jahren zerschlagen wurden, dominieren die Mexikaner auch dieses Geschäft.

Noch heute werden Schlafmohn und Marihuana in den entlegenen Dörfern der Sierra Madre angebaut, von schweigsamen, groß gewachsenen Männern, die ihre Söhne schon im Alter von sechs oder sieben Jahren mit hinaus aufs Feld nehmen. Die zarten und flinken Kinderhände gelten als ideal für das Anritzen der Mohnkapseln. Auch die Karriere von El Chapo soll so begonnen haben. Fast alle großen mexikanischen Drogenbosse der letzten 50 Jahre kommen aus dem Hinterland von Culiacán. Er auch.

Und fast alle liegen sie heute auf dem Friedhof Humaya im Südwesten der Stadt. Auf dem Weg dorthin erzählt Margarito von den „Freunden“. Er ist vielleicht 50, rund und hat das dünne Haar mit viel Pomade an den Kopf geklebt. Seit 30 Jahren fährt er in Culiacán Taxi. Das Wort Drogenhändler oder narco nimmt er nie in den Mund. Er redet von Freunden, und er meint das ernst. „Wer bezahlt hier die Schulen, die Sportplätze, die Kirchen?“, fragt er. „Politiker sind doch alle korrupt.“

Auch Polizei und Militär sind nicht gut angesehen. Nicht erst jetzt, da im Drogenkrieg weiße Pick-ups der Bundespolizei durch die Stadt patrouillieren, mit Schießständen auf der Ladefläche und Männern und Frauen ganz schwarz gekleidet, mit schusssicherer Weste, Gesichtsmaske, Sonnenbrille und Stahlhelm, das Sturmgewehr immer auf die Passanten gerichtet.

Die Ablehnung der Sicherheitskräfte geht auf die Operation Condor zurück. Damit ist nicht die Kampagne lateinamerikanischer Diktaturen gegen Oppositionelle in den 70ern gemeint. In Mexiko galt sie dem Ziel, zwischen 1975 und 1977 den Drogenanbau und den Drogenhandel zu zerstören. Zeitweise waren dafür bis zu 20.000 Soldaten und Polizisten im Einsatz.

Seither erzählen die Alten in Culiacán von verschwundenen Söhnen, von Leichen, die man mit Folterspuren fand. Seither ist klar, auf welcher Seite man steht. Margarito nennt sie amigos, Freunde, andere gar los valientes, die Tapferen.

Hunderte von ihnen liegen auf dem Friedhof Humaya. „Fahr nicht am Sonntag hinaus“, hatte Mendoza gewarnt. „Sonntags feiern sie dort ihre Feste, und sie werden dabei nicht gerne beobachtet.“ Tatsächlich: Hier kann man feiern. Mexikaner haben ohnehin einen fröhlichen Totenkult. Und die Narco-Mausoleen sind zum Teil groß wie Dorfkirchen. Viele tragen Kuppeldächer, und weil sie so eng stehen, macht die Front fast einen russisch-orthodoxen Eindruck.

Erst wenn man näher kommt, erkennt man die architektonische Mischung. Da gibt es nicht nur Neobarock, sondern auch modernistische Tempel aus abgedunkeltem Glas, glänzendem Stahl und Sichtbeton, drei Stockwerke hoch, mit Tanzboden und Klimaanlage wegen der Hitze. Manche Bauten sind ein wildes Gemisch aus Barock, Bauhaus und ein bisschen Tadsch Mahal.

Es ist schwer, das Grabmahl eines Mannes zu finden, der älter wurde als 45 Jahre. Frauen stellen keine fünf Prozent der Toten und starben meist sehr jung. Auf den Fotos sehen sie wie Schönheitsköniginnen aus, und viele waren das auch.

Das wäre doch was: El Chapo verkauft Devotionalien vor der Kapelle von Jesús Malverde

Schönheitsköniginnen „sind die begehrtesten Trophäen der Narcos“, sagt der Soziologe Arturo Santamaría, der ein Buch über Frauen im Drogenhandel herausgegeben hat. El Chapo Guzmán hat, als er schon 50 war, im Jahr 2007 die 18-jährige Emma Coronel geheiratet, Schönheitskönigin der Messe für Kaffee und Guayaba in dem Städtchen Canelas.

„Nichts unterstreicht die Virilität eines Drogenhändlers so sehr wie eine von allen begehrte Frau“, sagt der Soziologe Santamaría. Das Schönheitsideal hat sich dabei im letzten Jahrzehnt verändert, hat der Schriftsteller Mendoza festgestellt. Traditionell seien die Frauen von Sinaloa eher flachbrüstig und hätten stämmige Hüften. Nun aber, weiß er von Schönheitschirurgen in Culiacán, „sind schwere Brüste und hervorspringende Hintern gefragt, und zwar nicht nur im Umfeld der Drogenhändler“. Mendoza glaubt, dass dies von einschlägigen Filmen beeinflusst sein könnte: Narcos gelten als Pornogroßkonsumenten.

Auch die Männermode hat sich verändert. Drogenhändler früherer Generationen waren einfache Leute vom Land mit karger Schulbildung. Um zu zeigen, dass sie es zu etwas gebracht hatten, trugen sie den ländlichen Sonntagsstaat: keine allzu derben Jeans, dicke Gürtelschnalle, kariertes Hemd und frisch gewienerte Stiefel. „Stiefel“, sagt Mendoza, „konnten sich nur die reichen Bauern leisten.“ Ihre Söhne schicken sie heute auf die Universität.

El Chapo ging kaum drei Jahre zur Schule, einer seiner Söhne hat einen Doktortitel. Man sagt, er sei heute Logistikchef des Sinaloa-Kartells. Diese jungen Leute kombinieren die alte Tracht mit Garderobe aus teuren Boutiquen. Statt Baumwollhemden trägt man Seide und hin und wieder ein Armani-Jackett. „Es ist ein ganz neuer Stil entstanden“, sagt Mendoza. „Eine Mischung aus globaler Businessmode und ländlich-bäuerlicher Tradition.“

In Culiacán wohnen diese jungen Reichen im Stadtviertel San Miguel auf einem Hügel im Süden des Zentrums. Von hier aus kann man die ganze Stadt überblicken, ganz oben wacht eine riesige Christusfigur. Der Schriftsteller Élmer Mendoza kennt die Gegend gut.

Wenn es in seinen Romanen zum Showdown kommt, lässt er Kolonnen von waffenstarrenden Pick-ups von hier oben in die Stadt hinunterfahren. „Geh früh am Morgen hin“, hat er empfohlen. „Narcos sind nachtaktiv und stehen erst um die Mittagszeit auf. Bleib niemals stehen und lass um Gottes willen die Kamera in der Tasche. Man könnte dich für einen Agenten der DEA halten“, einen Mann von der US-Drogenbehörde.

Es ist still am Morgen in San Miguel. Von den hohen Mauern lugen Videokameras. Auf den Dächern sitzen Parabolantennen, dazu der eine oder andere Funkmast. Man ist verbunden mit der Welt.

Die Größe der Anwesen lässt erahnen: Hier wohnt man auf mehr als tausend Quadratmetern. Dann und wann erkennt man eine Kuppel mit Kreuz, vielleicht eine Hauskapelle. Architektonisch sind die Gebäude Einflüssen aus aller Welt ausgesetzt, ein bisschen englische Ritterburg an einer Ecke, an der anderen nüchternes Bauhaus oder orientalisch anmutende Spitzbögen. Verbunden wird alles durch den der spanischen Kolonialarchitektur nachempfundenen kalifornischen Landhausstil: narcoarquitectura, wie es in Mexiko heißt.

Die Straßen sind breit und menschenleer. Nur hier und da parkt ein großer Geländewagen. Die Sonne steht noch tief, ihr Licht fällt fast waagerecht. So kann man auch durch die abgedunkelten Scheiben zwei Männer in jedem dieser Autos erkennen. Ob auf ihren Knien ein cuerno de chivo, eine Kalaschnikow, liegt, sieht man nicht.

Es ist verhältnismäßig ruhig in Culiacán. El Chapo und sein Kartell haben die Stadt fest im Griff. Als der konservative Präsident Felipe Calderón Ende 2006 Polizei und Armee auf die Drogenhändler hetzte, gab es auch in Culiacán wöchentlich eine Schießerei. Doch seit Enrique Peña Nieto von der ehemaligen Staatspartei PRI regiert, ist es stiller geworden. Und egal, wen man nach den Gründen fragt, den Literaten Mendoza, den Taxifahrer Margarito oder das Zimmermädchen, alle antworten dasselbe: „Die PRI weiß, wie man verhandelt.“

Das Regierungsgebäude des Gouverneurs von Sinaloa liegt kaum 200 Meter vom Schrein des Jesús Malverde entfernt. Die schmucklose Betonburg wurde in den 80er Jahren dort errichtet, wo die kleine Wallstatt der Drogenhändler ursprünglich stand. Es war der letzte große freie Platz in Culiacán. Der damalige Gourverneur, auch er ein Mann von der PRI, respektierte die religiösen Gefühle, spendierte die neue Kapelle und ließ das, was man für die Gebeine Malverdes hält, in einer feierlichen Zeremonie umbetten.

Es ist unwahrscheinlich, dass der Devotionalienhändler vor dem Malverde-Schrein tatsächlich der getarnte El Chapo war, auch wenn er ihm noch so ähnlich sieht. Die Einheimischen hätten ihn erkannt. Sie hätten ihn anfassen wollen, ihn um einen Gefallen gebeten. So sei das, wenn er auftritt, sagt Mendoza. „Da stehen die Leute Schlange.“

Er selbst kenne eine Lehrerin, „jung und sehr engagiert“, die habe den Drogenboss bei so einer Gelegenheit um eine Erweiterung ihres Schulhauses gebeten. „Am nächsten Morgen kamen die Bagger.“ Verraten, da ist sich Mendoza ganz sicher, würde man El Chapo nie.

Toni Keppeler, 57, schreibt über Lateinamerika und verfolgt seit Jahren die Spur der Drogen von den Anden bis in die USA