Feldzug gegen Juden und Kinder

Die Männer, die ein Sommercamp in Hessen überfallen haben, kommen offenbar aus der organisierten rechtsextremen Szene. Der verhaftete Kevin S. steht der NPD nahe und ist in der örtlichen Kameradschaft aktiv. Polizei ermittelt wegen Mordversuchs

VON BENJAMIN LAUFER

In seinen Videos soll er behaupten, Deutschland befinde sich im Krieg gegen die Juden. Nun sitzt Kevin S. seit Wochenbeginn in Untersuchungshaft, weil er selbst in den Krieg gezogen ist. Sein Opfer, ein 13-jähriges Mädchen, liegt mit schweren Kopfverletzungen im Krankenhaus. Ihr 23 Jahre alter Bruder erlitt leichte Verletzungen.

Der 19-jährige Kevin S. hat gestanden, zusammen mit anderen Rechtsextremisten ein Camp der Linken-Jugendorganisation Solid in Hessen angegriffen zu haben. Wie die Frankfurter Rundschau am Donnerstag berichtete, ermittelt die Kasseler Staatsanwaltschaft nun auch wegen versuchten Mordes.

Der verhaftete Schläger steht offenbar der organisierten Neonaziszene sehr nahe. Der Überfall auf Teilnehmer des Sommerlagers der Linksjugend Solid wurde nach vorläufigen Erkenntnissen von Tätern verübt, „die dem Landesamt für Verfassungsschutz zum Teil bekannt und dem Umfeld der Freien Kräfte Schwalm-Eder zuzurechnen sind“, erklärt Alexander Eisvogel, Präsident des hessischen Verfassungsschutzes. Die Behörde schätzt diese Gruppe als gewaltbereit und aggressiv ein.

S. stammt nach Informationen des Netzwerks Anti-Nazi-Koordination in Frankfurt/Main aus dem Umfeld des ehemaligen NPD-Landesvorsitzenden Marcel Wöll. Für die „Volksfront Medien“ soll der 19-Jährige regelmäßig Videos mit antisemitischen und rassistischen Inhalten erstellt haben. „Kevin S. ist mit der NPD eng verbunden, muss andererseits aber dem Lager der Autonomen Nationalisten zugerechnet werden“, sagte Hans Christoph Stoodt von der Anti-Nazi-Koordination. Diese grenzen sich äußerlich von der NPD ab, indem sie etwa bei Demonstrationen als schwarzer Block auftreten. Sie teilen aber die ideologischen Werte der Partei. S. habe in seinen Videos wiederholt Gewalt verherrlicht und behauptet, Deutschland befinde sich im Krieg gegen die Juden, erklärt Stoodt.

Zwei vermummte Neonazis sind nach Polizeiangaben am vergangenen Sonntag kurz vor acht Uhr morgens über den Zaun zum Campingplatz am Neuenhainer See geklettert sein. Dort veranstaltete Solid, die Jugendorganisation der Linkspartei, gerade ihr Sommercamp. Einer der Vermummten drang in ein Igluzelt ein und schlug auf die schlafenden Geschwister ein. Als Waffe diente ein massiver Gegenstand, eine Flasche oder ein Spaten.

„Chillen gegen das System und für eine bessere Welt“ wollten die Teilnehmer des Sommercamps eigentlich. Es gab jedoch bereits im Vorfeld Drohungen aus rechten Kreisen, sodass sie sich nicht wirklich entspannen konnten. Verschiedene OrganisatorInnen hatten warnende SMS oder Drohanrufe bekommen. „Gerade im Dunkeln hatte man Angst, dass etwas passieren könnte“, erzählt Markus Lange von der Solid-Basisgruppe Schwalm-Eder, der am Camp teilnahm. Die Jugendlichen stellten deshalb Nachtwachen auf.

Doch die Täter kamen nach Sonnenaufgang, als die Nachtwache pausierte und die Polizei keine Streife mehr fuhr. „Damit haben wir überhaupt nicht gerechnet“, sagt Lange.

Angst vor den Rechten habe er schon lange. Zusammen mit anderen AktivistInnen seien seine persönlichen Daten auf „roten Listen veröffentlicht worden, die von Rechtsextremen zur Einschüchterung ins Internet gestellt werden, erzählt er.

Die Freien Kräfte Schwalm-Eder versuchen eine rechte regionale Hegemonie zu schaffen. Die Frankfurter Anti-Nazi-Koordination beobachtet, dass die AnhängerInnen der Kameradschaft zunehmend besser organisiert sind. In den vergangenen neun Monaten kam es im Schwalm-Eder-Kreis gehäuft zu Aktivitäten der Neonazis, erst vor wenigen Wochen griffen sie ein Jugendzentrum an.

Die Behörden hätten rechte Übergriffe in der Vergangenheit allzu oft als unpolitische Taten dargestellt, bemängelt Ulrich Wilken, Landesvorsitzender der Linken. „Es ist höchste Zeit, dass die die Behörden im Schwalm-Eder-Kreis endlich zur Kenntnis nehmen, was antifaschistische Gruppen schon seit langem beklagen.“ Auch Hans Christoph Stoodt kritisiert, die Behörden hätten das Gewaltpotenzial der Neonazis lange Zeit unterschätzt.