Ausweitung der Kampfzone

JUSTIZ Der sächsische Verfassungsgerichtshof kippt das Demonstrationsverbot aufgrund von Formfehlern. Demnach durfte etwa vor der Frauenkirche nicht demonstriert werden

Rechtsextreme Demonstrationen sollten an bestimmten Orten verboten werden

AUS DRESDEN MICHAEL BARTSCH

Ab sofort darf in Sachsen wieder fast überall demonstriert werden. Am Dienstag erklärten die Richter des Landesverfassungsgerichtes in Leipzig das Gesetz für ungültig, welches Demonstrationen an historischen Orten wie etwa vor der Frauenkirche in Dresden oder vor dem Völkerschlachtdenkmal in Leipzig untersagte. Allerdings spielten die inhaltlichen Bedenken der klagenden Oppositionsparteien Linke, SPD und Grüne wegen der Einschränkung des Versammlungsrechts zunächst keine Rolle.

Das Gericht bemängelte, wie das Gesetz zustande gekommen war, und folgte vor allem den Teilen der Normenkontrollklage, die auf formale Fehler zielen. Der Wortlaut des Gesetzes sei in den Parlamentsdokumenten nicht enthalten gewesen, heißt es unter anderem in der Urteilsbegründung. Gemeint ist damit das Bundesversammlungsgesetz, das vom sächsischen Gesetz übernommen und ergänzt wird.

Die rot-grüne Bundesregierung verfügte 2005 im Bundesversammlungsgesetz ein Verbot von Demonstrationen an Gedenkstätten von nationaler Bedeutung, etwa am Holocaustmahnmal in Berlin. Seit der Föderalismusreform von 2006 durften die Länder eigene Versammlungsgesetze beschließen. Die Entscheidung des Gerichtshofs in Leipzig berührt nur die sächsische Erweiterung, das Bundesversammlungsgesetz bleibt davon unberührt.

Rasch hatte die sächsische CDU-FDP-Koalition ihr erstes Gesetzgebungsvorhaben im Januar 2010 durchgesetzt. So sollte den Versammlungsbehörden ermöglicht werden, rechtsextremistische Demonstrationen an bestimmten Tagen und Orten zu verbieten. Eile schien geboten, um das Gesetz noch vor dem Dresdner Zerstörungsgedenken am 13. Februar zu verabschieden.

Der Gesetzentwurf war schon bei einer Landtagsanhörung im November 2009 bei nahezu allen Experten durchgefallen. Der Protest der Opposition hatte zunächst inhaltliche Gründe. „Dieses Gesetz fügt dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit schweren Schaden zu“, kritisierte der Rechtsexperte Johannes Lichdi von den Bündnisgrünen im Januar 2010. Im August reichten Oppositionsabgeordnete eine Normenkontrollklage ein. Die mündliche Verhandlung vor dem Sächsischen Verfassungsgerichtshof im März dieses Jahres brachte außerdem peinliche Formverstöße ans Licht.

„Mit ihrer gemeinsamen Klage haben die demokratischen Oppositionsfraktionen dafür gesorgt, dass es in Sachsen kein Demonstrationsrecht zweiter Klasse gibt“, zeigte sich der rechtspolitische Sprecher der Linksfraktion, Klaus Bartl, mit dem ergangenen Urteil zufrieden. Der Grüne Johannes Lichdi erwartet, „dass die Koalition das Gesetz nicht wieder in den Landtag einbringt“. Das aber haben CDU und FDP bereits angekündigt, nachdem sie die beanstandeten Formfehler korrigiert hätten. Ob das bislang nie angewendete Gesetz jemals einen Naziaufmarsch verhindern wird, bezweifeln neben der Opposition auch Initiativen gegen rechts.