Sarrazin wirkt

STUDIE Einwanderer blicken heute mit weit weniger Zuversicht auf das Zusammenleben als noch 2009

BERLIN taz | „Eindeutig hat sich die Stimmung in Deutschland verändert, die Vorurteile wachsen und wachsen“, sagte jüngst die Schriftstellerin Hatice Akyün, die in der Türkei geboren ist und als Dreijährige mit ihren Eltern nach Deutschland kam. „Leute wie ich, die ihr ganzes Leben hier verbracht haben und sich als Deutsche begreifen, die fühlen sich jetzt zurückgewiesen.“ Hintergrund ihrer Aussagen war die Debatte, die Thilo Sarrazin mit seinem Bestseller „Deutschland schafft sich ab“ ausgelöst hat.

Dass Akyüns Wahrnehmung kein Einzelfall ist, zeigt nun eine Befragung des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR). Das Ergebnis: EinwandererInnen blicken heute mit deutlich weniger Zuversicht auf das Zusammenleben in Deutschland als vor einem Jahr. Der Einschätzung, dass die Mehrheits- und Einwandererbevölkerung „ungestört miteinander“ leben , stimmten im Herbst 2009 noch 21,7 Prozent der MigrantInnen voll und ganz zu. Im Winter 2010 äußerten sich so nur noch 9,1 Prozent.

Entsprechend ist auch der Anteil der Pessimisten gestiegen. Während 2009 nur 3,5 Prozent der befragten MigrantInnen die Einschätzung eines ungestörten Miteinanders mit „gar nicht“ bewerteten, stieg dieser Anteil jetzt auf 6 Prozent an. Im Mittelfeld aber überwiegen Einschätzungen des SVR zufolge „nach wie vor die verhalten positiven, gelasseneren Einstellungen zum Zusammenleben“. Der SVR, den acht Stiftungen gemeinsam gegründet haben, hat in beiden Jahren über 2.000 Menschen mit und ohne Migrationshintergrund befragt.

„Die Sarrazin-Debatte hat Spuren hinterlassen“, sagte der Vorsitzende des Sachverständigenrats Klaus Bade. „In den Meinungsspitzen beobachten wir mehr Pessimismus bei den Zuwanderern und mehr Pragmatismus bei den Deutschen.“ Interessanterweise ist bei der Mehrheitsbevölkerung zwar auch die „voll und ganze“ Zustimmung gesunken (von 10,7 auf 4,3 Prozent), ebenfalls aber der Anteil derer, die der Aussage zum ungestörten Zusammenleben „gar nicht“ zustimmen (von 6,7 auf 4 Prozent). Angestiegen dagegen ist das Mittelfeld. Der SVR geht daher davon aus, dass Sarrazins Buch in seiner Wirkung überschätzt worden ist. Die anschließende Debatte sei differenzierter gewesen.

„Das breite Mittelfeld bleibt auf beiden Seiten eher gelassen“, sagt dazu Migrationsforscher Bade. „Und das ist das Wichtigste.“ SABINE AM ORDE